Prof. Thun über Standards - nicht nur konsumieren, sondern weiterentwickeln

Interview

Veröffentlicht 08.10.2021 09:40, Kim Wehrs

Professorin Dr. Sylvia Thun ist Ärztin, Diplomingenieurin und Expertin für IT-Standards im Gesundheitswesen. Die Direktorin der Core Unit eHealth und Interoperabilität am Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) trat am 1.10.2021 eine W3 Professur auf Lebenszeit für Digitale Medizin und Interoperabilität.

Ihr Ziel ist es, Daten aus der medizinischen Versorgung und Forschung besser zu vernetzen. Thun beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit IT-Standards für den barrierefreien Datenaustausch. Sie berät in zahlreichen Gremien politische Akteure sowie Einrichtungen im Gesundheitswesen. So leitet sie das Konsortium „DigitalRadar“ „DigitalRadars“ zur Evaluierung des Reifegrades der Krankenhäuser hinsichtlich der Digitalisierung nach § 14b KHG. Im Interview skizziert Prof. Thun Fragestellungen um BHI und Standardisierung.

Berlin soll zum nationalen Vorreiter für medizinische IT-Standardisierung werden. Welche besonderen Akzente und Schwerpunkte haben Sie dazu an BIH, Charité und MDC gesetzt?

Prof. Thun: Wir sind ein Team, das seit vielen Jahren die internationale Standardisierung weiterentwickelt. Schwerpunkte sind die europäischen und deutschen Strategien. Dabei kommen Standards wie HL7 FHIR mit SNOMED und LOINC zum Einsatz. Wichtig dabei ist, dass diese Standards nicht nur konsumiert werden, sondern auch aktiv in der internationalen und nationalen Gemeinschaft weiterentwickelt und lokalisiert werden. Schwerpunkte sind dabei die wissenschaftlichen Fragestellungen rund um die Standards selber und der Einsatz der Standards für die Forschung.

Warum hinken wir in Deutschland beim standardisierten Datenaustausch zwischen den unterschiedlichen Sektoren des Gesundheitswesens hinterher?

Prof. Thun: Es gab zu wenig klare Entscheidungen hinsichtlich er internationalen Standards und es fehlte eine koordinierende Instanz. Damit fehlte auch der Industrie ein Rahmen, in dem sie ihre Produkte weiterentwickeln konnten. Nun werden leider mit den Standards Anwendungen überreguliert, so dass auch das nicht zuträglich ist.

 

Welche medizinischen Begriffssysteme für die Datenkommunikation besitzen zukunftsweisende Wirkkraft?

Prof. Thun: Alle beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgeführten Kodiersysteme (ICD, SNOMED; LOINC, UCUM) sind wichtig und zukunftsweisend. Daneben spielen auch immer mehr Standards aus der Bioinformatik und der Global Alliance for Genomics and Health (GA4GH) eine Rolle, wie etwa die Human Phenotype Ontology.

 

Sie wollen medizinische Versorgungs- und Forschungsdaten intersektoral besser vernetzen. Was kann das BIH bewirken besonders bei Voraussetzungen und für Bereitschaft im nationalen sowie internationalen Rahmen?

Das BIH kann Use Cases für die Vernetzung liefern, aber auch Methoden und Werkzeuge. Daneben sind die Harmonisierungen der Daten immens wichtig. Hier spielt meine Gruppe „Digitale Medizin und Interoperabilität“ eine wichtige Rolle; wir spezifizieren z.B. Implementierungsleitfäden, die für die Forschung relevant sind.

 

Welche Impulse für umfassende Interoperabilität im Gesundheitswesen kann das Krankenhauszukunftsgesetz KHZG geben? Wie ist hierbei das BIH aktiv?

Prof. Thun: Interoperabilität wird vom KHZG explizit gefordert, sogar Standards wie FHIR werden genannt. Der „DigitalRadar“ fragt die Standards prozessual ab und legt Wert darauf, dass die Krankenhäuser die dementsprechenden Services und Applikationen kennen und einschätzen. Ich leite den „DigitalRadar“.

 

Wie passen Marktinteressen der Industrie, offene Standards und Interoperabilität der Schnittstellen zusammen? Auf welche Software sollten Krankenhäuser bei Investitionen künftig setzen?

Prof. Thun: Internationale und innovative Unternehmer haben großes Interesse an Standards. Trotzdem sollten die Krankenhäuser darauf achten, welche Standards implementiert sind und ob diese kompatible zu der gematik-Spezifikation ISIK sind. Andere Schnittstellen können durchaus noch in HL7 V2 eingesetzt werden, es ist jedoch eine Strategie Richtung FHIR unabdingbar.

 

Wie sollte sich die Healthcare-Branchen-Kultur für ein intersektorales Verständnis bei Markt, Medizin und Patienten verändern?

Prof. Thun: Ein gemeinsames Miteinander und FAIRe Daten – also Daten, die den Grundsätzen der Auffindbarkeit, Zugänglichkeit, Interoperabilität und Wiederverwendbarkeit entsprechen - sind die Grundvoraussetzung, dass Deutschland in der digitalen Gegenwart ankommt, den Mitarbeitern im Gesundheitswesen nutzt und die Patientenbehandlung und -prävention fördert.

 

Foto: Prof. Sylvia Thun, Universitätsprofessorin für Digitale Medizin und Interoperabilität, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Director Core Facility Digital Medicine and Interoperability, Berlin Institute of Health at Charité (BIH), www.bihealth.org

 


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