DiGA im Kommen: Apps auf Rezept im Health-IT Talk Berlin-Brandenburg

HealthIT

Veröffentlicht 17.11.2021 01:20, Dagmar Finlayson

Die ersten DiGAs - Digitale Gesundheitsanwendungen - wurden vor einem Jahr ins Leben gerufen. Seitdem hat sich gesetzlich, in der Verordnung, im Verzeichnis und Zulassungsprozess einiges getan und die Entwicklung geht weiter. Im virtuellen Health-IT Talk Berlin-Brandenburg im November 2021 blickte Laura Nelde, Senior Insights Manager bei Flying Health, auf Markt, Erfahrungen von Akteuren im System und zukünftige Hürden. Den Überblick, Rückblick und Ausblick für rund 60 Teilnehmer moderierte Dr. Adrian Schuster, (BVMI).

DiGA sind keine theoretischen Modelle mehr, sondern können die Versorgungsrealität des Gesundheitswesens in Deutschland verändern. Seit September 2020 stehen erstattungsfähige Gesundheits-Apps bereit. Damit ist ein neuer Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung entstanden. Denn neben Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln oder häuslicher Krankenpflege können auch digitale Gesundheitsanwendungen verordnet werden.

Durch das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) und Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) sind rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen worden, um Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) in die Versorgung zu bekommen. Mit dem DVG wurde die Grundlage für den Leistungsanspruch der Versicherten auf Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen geschaffen. Und mit der DiGAV und dem Leitfaden des Bundesinstituts für Arzneimittel werden nun weitere Bausteine gelegt, damit die "App auf Rezept" Bestandteil der Versorgung werden kann.

Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) sind Medizinprodukte niedriger Risikoklassen. Es handelt sich um Apps, die Versicherte beispielsweise mit ihrem Smartphone oder Tablet nutzen, aber auch um webbasierte Anwendungen, die über einen Internetbrowser auf einem PC oder Laptop laufen.

Laura Nelde, Senior Insights Manager bei Flying Health

DiGA sollen unterstützen, Krankheiten zu erkennen, zu überwachen, zu behandeln oder zu lindern. Auch bei Verletzungen oder einer Behinderung ist ein Einsatz möglich. Der gesetzliche Anspruch wurde mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz geschaffen.

Im DiGA-Verzeichnis werden digitale Gesundheitsanwendungen gelistet, also zum Beispiel Apps oder browserbasierte Anwendungen, die als Medizinprodukt mit niedrigem Risiko CE-zertifiziert sind, zusätzlich vom BfArM im Fast-Track-Verfahren geprüft wurden und damit vom Arzt verschrieben oder bei entsprechender Diagnose direkt von der gesetzlichen Krankenkasse erstattet werden können. DiGA-Verzeichnis (bfarm.de)

Mit dem Fast-Track-Verfahren zur Aufnahme von DiGA in das Verzeichnis des BfArM wurde erstmals ein umfassendes Anforderungsprofil für DiGA in der Gesundheitsversorgung definiert. Hierbei prüft das BfArM innerhalb von drei Monaten die Angaben des Herstellers u.a. zu Sicherheit, Leistung, Datenschutz, medizinischer Qualität und Interoperabilität der DiGA sowie die wissenschaftlichen Nachweise zu ihrem positiven Versorgungseffekt.

Den sog. Apps auf Rezept müssen zur Erstattungsfähigkeit positive Versorgungseffekte nachgewiesen werden. Der Leitfaden des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) regelt hierzu Näheres.

Erstattet werden die Kosten aber nur für digitale Anwendungen, die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geprüft wurden und im DiGA-Verzeichnis gelistet sind.

Ob auf Rezept oder Antrag: Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten nur für digitale Anwendungen, die vom BfArM geprüft wurden (u.a. Datenschutz, Benutzerfreundlichkeit, positiver Versorgungseffekt) und im öffentlichen DiGA-Verzeichnis des BfArM gelistet sind.

Diese Liste wird ständig erweitert. Sie umfasst aktuell fünf Produkte, die „dauerhaft aufgenommen“ wurden. Zu jeder DiGA steht im Verzeichnis immer auch ihr Status. DiGA-Verzeichnis (bfarm.de)

Interoperabilität ist ein zentrales Ziel. Dazu werden Festlegungen zum Format, zu den Inhalten und zur Bedeutung von zwischen technischen Systemen ausgetauschten Daten getroffen, die innerhalb eines bestimmten Kontextes des Zusammenwirkens dieser Systeme gelten sollen. Solche Festlegungen können Standards, Profile oder Leitfäden sein.

Interoperabilitätsanforderungen an DiGA müssen für die Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis nachweisen, dass sie in Bezug auf drei ausgewählte Fragestellungen interoperabel gestaltet sind:

1. Die DiGA erlaubt es dem Versicherten, therapierelevante Auszüge der über die DiGA erhobenen Daten in menschenlesbarer und ausdruckbarer Form aus der DiGA auszuspielen, sodass er diese zu eigenen Zwecken nutzen oder an einen Arzt weitergeben kann.

2. Die DiGA erlaubt es dem Versicherten, die über die DiGA erhobenen Daten in einem maschinenlesbaren, interoperablen Format aus der DiGA auszuspielen, sodass der Versicherte oder ein vom Versicherten berechtigter Dritter diese Daten über andere digitale Produkte weiterverarbeiten kann. Diese Schnittstelle soll perspektivisch auch an die ePA angebunden werden können.

3. Sofern die DiGA Daten aus vom Versicherten genutzten Medizingeräten oder vom Versicherten getragenen Sensoren zur Messung und Übertragung von Vitalwerten (Wearables) bezieht, kann sie diese Geräte auch über eine interoperable Schnittstelle ansprechen

Mit dem Fast-Track-Verfahren wird zudem erstmals ein umfassendes Anforderungsprofil für DiGA in der Gesundheitsversorgung definiert. Es geht von der Grundannahme aus, dass digitale Anwendungen sowohl sicher als auch leicht zu nutzen sein müssen, wenn sie erfolgreich in der Gesundheitsversorgung etabliert werden sollen, und zielt darum insbesondere auf einen Brückenschlag zwischen Datenschutz und Informationssicherheit auf der einen und Nutzerfreundlichkeit und Leistungsfähigkeit auf der anderen Seite.

Seit Listung der ersten DiGA reißt die Debatte um die Preisgestaltung der Hersteller nicht ab. Nach Einschätzung der Krankenkassen stehen die Kosten für DiGA nicht im Verhältnis zu analogen GKV-Leistungen. Bisher wurde der medizinische Nutzen offenbar noch nicht ausreichend dargelegt. Als Beispiel führt der AOK-Bundesverband eine Adipositas-App an: Für die Kasse ergäben sich bei empfohlener Nutzungsdauer von einem Jahr Gesamtkosten in Höhe von fast 2000 Euro je Versichertem. Eine DiGA kostet im Mittel rund 405 Euro. Die Preisspanne liegt zwischen 119 Euro und 734,75 Euro.

Preisverhandlungen finden statt, allerdings hinter vorgehaltener Hand. Die Fronten zwischen Kassen und Herstellern sind verhärtet. Der GKV-Spitzenverband drängt auf ein Höchstpreis-Modell, das von Tag eins der Erstattung gilt. Der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung (SVDGV) mahnt in einem Papier von August, die öffentliche Diskussion über Preise sei „immer stark simplifiziert“.

Verordnung, Abrechnung und Vergütung von digitalen Gesundheitsanwendungen sind noch in Entwicklung. Dennoch: Offenbar scheinen DiGA bereits einen Meilenstein in der Gesundheitsversorgung hierzulande zu setzen. Dabei werfen sie regulatorische Fragen auf, z.B. zur Verlässlichkeit der medizinischen Informationen, zum Nachweis des therapeutischen Nutzens sowie zum Datenschutz. Während die einen in diesem Kontext die neue globale Vorreiterrolle Deutschlands im Gesundheitswesen feiern, sehen andere der Entwicklung u. a. aus der noch offenen Kosten-Nutzen-Perspektive kritisch entgegen.

 

Health-IT Talk
Branchenprofis tauschen sich im monatlich stattfinden Health-IT-Talk Berlin-Brandenburg verbands- und fachrichtungsübergreifend zur Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft aus. Die vier Partner ( IT-Branchenverband SIBB e.V., KH-IT Bundesverband der Krankenhaus-IT-Leiterinnen/Leiter e.V., BVMI – Berufsverband Medizinischer Informatiker e.V., TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte Medizinische Forschung e.V., BVMI, KH-IT, SIBB, TMF) beschäftigen sich mit aktuellen Branchenthemen in Fachvortrag und Diskussion.
www.health-it-talk.de

Talk-Informationen stehen auf der Homepage www.health-it-talk.de, ebenso die bisherigen Vorträge und Diskussionen als Videomitschnitte in der Rubrik "Health-IT Talk Berlin-Brandenburg" im YouTube-Kanal des SIBB e.V.

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Von Wolf-Dietrich Lorenz

 

Symbolbild: Pixabay/mohamed_hassan


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