SAP beerdigt die Industrielösung IS-H für das Gesundheitswesen. Und nun?

Krankenhaus-IT Journal Blog

Veröffentlicht 05.12.2022 10:40, Kim Wehrs

Warum die SAP aus Walldorf das IS-H ab 2030 komplett aus der Wartung nimmt und somit das Patientenmanagement und die Patientenabrechnung nicht weiterentwickelt, wissen wahrscheinlich nur Insider. Gleichzeitig ist auch die medizinische Lösung i.s.h.med, die auf der gleichen Plattform läuft, betroffen und muss ersetzt werden.

Was bedeutet diese Entscheidung eigentlich für die Kliniken, die jahrelang bzw. mittlerweile seit über zwei Jahrzehnten auf stabile SAP-Lösungen in den Bereichen Patientenmanagement, Patientenabrechnung, Finanzbuchhaltung, Controlling und Materialwirtschaft gesetzt haben? Eines war klar, nach R/2 und R/3 wird sich die SAP-Software neu erfinden müssen. Der Lebenszyklus einer Software muss irgendwann neu starten, um neue Technologien und Möglichkeiten integrieren zu können. Diese neue Lösung nennt sich SAP S/4HANA sowie weitere Lösungen in der BTP (SAP Business Technology Platform). Ehrlicherweise muss man konstatieren, dass Lösungen in der Cloud bisher noch nicht wirklich im Klinikalltag angekommen sind, sodass eine OnPremise-Installation bevorzugt werden wird. Von Michael Brok, Vorstand der GITG AG

Die Kliniken stehen nun vor der Herausforderung, eine neue Lösung für das IS-H bis spätestens Ende 2030 zu finden. Die Core-Anwendungen FI, CO und MM wurden durch die SAP auf die neue S/4 HANA-Plattform gehoben und optimiert. Diese stehen komplett zur Verfügung.

Schätzungsweise betreffen zwischen 85% und 95% der Eigenentwicklungen in einem SAP-System das IS-H. Müssen diese Investitionen nun auch „beerdigt“ werden? Die Klinken haben in Vertrauen auf die SAP hohe Investitionen in zusätzliche Lösungen im IS-H getätigt.

Dann gibt es zusätzlich noch eine medizinische Lösung, welche abhängig vom IS-H ist. Was passiert damit?

 

Hohe Belastung

Eine Systemumstellung im medizinischen Bereich ist nicht nur eine hohe finanzielle Herausforderung, sondern auch eine extrem hohe Belastung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Themen Fachkräftemangel, steigende Energiekosten, die Nachwirkungen der Pandemie und die laufenden KHZG-Projekte sollen hier nicht überstrapaziert werden, spielen aber im Gesamtkontext sicherlich die nächsten Jahre eine wichtige Rolle. Bis zum endgültigen Wartungsende 31.12.2030 sind noch gut acht Jahre Zeit. Klingt lange, ist aber durch die tiefe Durchdringung der SAP-Anwendungen in den Kliniken eine Mammutaufgabe. Aktuelle Beispiele im Markt zeigen, dass neue klinische Systeme deutlich länger in der Umsetzung brauchen als ursprünglich geplant und dass diese dann noch nicht mal die Kernprozesse einer Klinik vollends abbilden können.

Nun geht es darum, die anstehenden Projekte der kommenden Jahre nacheinander in sinnvoller Reihenfolge abzuarbeiten. Nötige Investitionen und die Belastung der Klinikbelegschaft müssen in wohl dosierten Häppchen „verabreicht“ werden.

Eine weitere Herausforderung ist, dass viele Kliniken nicht mehr nur von einem Hersteller abhängig sein wollen, sondern sogenannte Best-of-Breed-Lösungen bevorzugen.

Die SAP-Systemlandschaft inklusive den SAP-Core-Anwendungen komplett abzulösen, macht aufgrund der nötigen Investitionen und dem engen Zeitplan keinen großen Sinn. Das Patientenmanagement und die Patientenabrechnung gehören im engeren Sinne auch zu den Core-Anwendungen. Das KAS, nämlich die Abbildung der klinischen Prozesse, müssen separat bewertet werden. Insbesondere die Zukunft des i.s.h.med der Firma ORACLE Cerner wird mit Spannung auf dem KIS Markt beobachtet.

 

SAP und ihre Partner

Was passiert nun mit dem IS-H? Die SAP setzt auf ihre Partner. Heutiger Stand ist, dass bis Ende 2025/Anfang 2026 eine Partnerlösung auf S/4HANA mit Unterstützung der SAP zur Verfügung gestellt wird. Das sind gute Nachrichten für die Kliniken, eine Sorge weniger!

Die SAP-Kliniken sollten sich ab jetzt mit der Planung der zukünftigen Systemlandschaft beschäftigen.

1.       Als Erstes sollte eine Ausschreibung der KIS-Systemlandschaft erfolgen, sodass alternative Lösungen aufgezeigt und bewertet werden können.

2.       Parallel ist die kommende S/4HANA-Migration der Core-Anwendungen mit dem IS-H als Side-by-Side-Ansatz schnellstmöglich zu planen. Die SAP bietet mit ihrem Standard-Konnektor, erweitert durch eine Partnerlösung für nicht migrierte Belege, zwischen S/4 und IS-H eine funktionierende Schnittstelle an. Die Migrationstools der SAP funktionieren ebenfalls hervorragend.

3.       Der nächste Schritt wäre die Migration des alten IS-H auf die neue Partnerlösung für das Patientenmanagement und die Abrechnung. Hier werden die SAP-Partner einfache und schnelle Migrationstools zur Verfügung stellen. Die klinischen Systeme werden per FHIR an die neue SAP S/4HANA-Systemlandschaft angebunden werden.

 

Schütteln und Sortieren

Jetzt heißt es für die Kliniken, kurzes Schütteln, Sortieren und eine Strategie für die nächsten Jahre entwickeln …

Die ersten Kliniken haben schon begonnen, auf eine On Premise S/4HANA-Plattform zu migrieren. Der erste Schritt in die technologisch neue S/4-Welt der SAP ist damit getan.

 

 

Foto: Michael Brok ist im Vorstand der GITG AG mit Sitz in Hamburg und leitet das Beratungsteam. Seit der Einführung der BPflV 1995 beschäftigt er sich mit allen Fragestellungen im Bereich SAP und Kliniken.

 


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