Quantensprung für die Künstliche Intelligenz

Studie

Veröffentlicht 03.09.2020 09:30, Kim Wehrs

Quantencomputer werden die Künstliche Intelligenz und das Maschinelle Lernen tiefgreifend verändern und völlig neue Anwendungsmöglichkeiten erschließen. In einer Studie erläutern Expertinnen und Experten der Fraunhofer-Allianz Big Data und Künstliche Intelligenz gemeinsam mit wissenschaftlichen Partnern, wie Quantencomputer Verfahren des Maschinellen Lernens beschleunigen können und welche Potenziale ihr Einsatz in Industrie und Gesellschaft mit sich bringen wird. Die Studie stellt grundlegende Konzepte und Technologien des Quantencomputings vor, analysiert die aktuelle Forschungs- und Kompetenzlandschaft und zeigt Marktpotenziale auf.

Viele Aufgaben im Bereich Big Data, Künstliche Intelligenz (KI) und Maschinelles Lernen (ML) sind heute, trotz fortschrittlicher Rechenleistung von Computersystemen, nur mit immensem Zeit- und Rechenaufwand lösbar – manche sind sogar so komplex, dass ihre Berechnung mit heutigen Rechnerkapazitäten Jahre dauern würde. Bei der Entwicklung neuer Impfstoffe zum Beispiel könnten KI-Verfahren helfen – die Biologie ist jedoch so komplex, dass die Simulation der molekularen Reaktionen im Körper bei einer realis­tischen Rechenzeit nach heutigem Stand nur sehr unvollständig abgebildet werden könnte. Es braucht einen »Quantensprung«, um die Künstliche Intelligenz und das Maschinelle Lernen auf ein neues Level zu heben. Hier setzt das Quantencompu­ting an.

»Im Quantencomputing steckt das Potenzial, die prinzipiellen Beschränkungen klassi­scher Computer zu überwinden«, sagt Prof. Dr. Christian Bauckhage, wissenschaftlich­er Direktor des Fraunhofer-Forschungszentrums Maschinelles Lernen. »Das ist uns bei Fraunhofer schon lange bewusst und wir forschen seit Jahren an der Anpassung von Algorithmen des Maschinellen Lernens an die Anforderungen von Quantencomputern. Lange waren diese Forschungen jedoch theoretische Konzepte. Das ändert sich jetzt: Schon bald werden wir in der Lage sein, ML-Algorithmen auf realen Quantencompu­tern anzuwenden.«

Welche Quanteneffekte spielen beim Quantencomputing eine Rolle? Wie können sie Rechenverfahren beschleunigen und völlig neue Anwendungen ermöglichen – etwa im Bereich Logistik & Mobilität, in der Pharmaindustrie oder in der Finanzwirtschaft? Das erklären Expertinnen und Experten der Fraunhofer-Allianz Big Data und Künstliche Intelligenz sowie des Fraunhofer-Forschungszentrums Maschinelles Lernen in Koopera­tion mit dem Kompetenzzentrum Maschinelles Lernen Rhein-Ruhr ML2R in ihrer Studie.
 

Wie Quantencomputer Berechnungen beschleunigen

Quantencomputer nutzen zur Informationsverarbeitung Quanteneffekte wie Superposi­tion oder Verschränkung und können dadurch prinzipiell schneller Ergebnisse liefern. Während ein digitaler Computer mit Bits rechnet, arbeitet ein Quantencomputer mit Qubits, die im Gegensatz zu den klassischen Bits nicht nur genau einen von zwei mög­lichen Zuständen annehmen können, sondern auch eine beliebige Überlagerung bei­der. Verfahren des Maschinellen Lernens lassen sich für Quantencomputer so anpassen, dass sie mehrere Lösungswege gleichzeitig beschreiten. Damit kann ein einzelner Quanten­computer schneller Lösungen finden als viele klassische Computer in einem Cluster, wie etwa einer Cloud. Anhand ausgewählter Beispiele zeigt die Studie, wie Quantenalgorithmen für das Durchsuchen großer Datenbanken, das Lösen komplexer Gleichungssysteme oder kombinatorischer Optimierungsprobleme genutzt werden können.

Neben den logischen Konzepten von Quantencomputern stellt die Studie auch Techniken für die Implementierung der Hardware vor, wie photonische Quantencomputer, Ionenfallen oder die bisher am weitesten verbreitete Technologie der supraleitenden Schaltungen.
 

Wertschöpfungspotenziale durch Simulation und Optimierung

Der Einsatz von Quantencomputern für Berechnungen auf Basis des Maschinellen Lernens wird zukünftig in vielen Industriebereichen für eine effizientere Wertschöpfung sorgen. Konkrete Anwendungsgebiete stellt die Studie ausführlich vor. Besonders prädestiniert sind Quantencomputer aufgrund ihrer Konstruktionsprinzipien dazu, Einblicke in quantenmechanische Sys­teme, wie etwa Moleküle, zu gewähren. Lassen sich Moleküle und ihre Eigenschaften in vertretbarer Zeit simulieren, so eröffnen sich in Zukunft möglicherweise neue Produktionsverfahren für die chemische Industrie. Ebenso könnten Pharmaunter­nehmen die Medikamentenentwicklung beschleunigen oder die Ingenieurwissenschaften von einer gezielten Materialentwicklung profitieren.

Großes Wertschöpfungspotenzial liegt auch in der Lösung von Optimierungsproblemen mithilfe von Quantencomputern. Diese stellen sich beispielsweise in der Logistik, wenn es darum geht, Ressourcen optimal einzusetzen. Aber auch in der Finanzwirtschaft und bei der Planung von Telekommunikationsnetzen spielen Optimierungsfragen eine entscheidende Rolle. Zudem gibt es schon heute Quantenalgorithmen, die große Auswirkungen auf die Kryptographie und sichere, verschlüsselte Kommunikation haben können.
 

Marktsituation und internationaler Wettbewerb

An der Entwicklung von Quantencomputern arbeiten alle Industrienationen. Öffent­liche und private Investitionen, vor allem aus China, den USA und der Euro­päischen Union, haben bereits einen erheblichen Beitrag zur bisherigen Entwicklung von Quantentechnologien geleistet. Dabei liegt China mit rund zehn Milliarden US-Dollar an Investitionen im Vergleich zu den USA (rund 1,3 Mrd. USD) und Europa (rund 1 Mrd. USD) bislang noch weit vorn. Die Fraunhofer-Studie gibt einen Überblick über die weltweite Forschungs-, Förder-, Patent- und Publikationslandschaft und zeigt das starke Wachstum dieses Marktes auf, das sich seit 2016 rasant beschleunigt hat. So hat sich etwa die Zahl der weltweit erteilten Patente von 2015 bis 2019 mehr als verdreifacht. Gemessen an der Anzahl an Publikationen ist Europa, beziehungs­weise die EMEA-Region, inter­national führend in der akademischen Quantenphysik – mit heute rund 50 Prozent aller wissenschaftlichen Publikationen und fast 40 Prozent der Forschenden in diesem Bereich.

»Europa und im Speziellen Deutschland befindet sich derzeit im weltweiten Forsch­ungs­wettlauf auf Augenhöhe mit den USA und China. Das dynamische Wachstum und die vielen offenen Forschungsfragen bedeuten jedoch auch, dass es einer kontinu­ierlichen Forschungsförderung dieses Gebietes bedarf, um die im internationalen Vergleich gute Ausgangsposition zu halten und auszubauen«, betont Bauckhage.
 

Fraunhofer gestaltet die Zukunft des Quantencomputings

Die Fraunhofer-Gesellschaft hat über die vergangenen Jahre ihre Kompetenzen im Bereich Quantencomputing gezielt ausgebaut und unterstützt mit ihrer interdiszipli­nären Expertise Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Nun folgt der nächste entscheidende Schritt: Gemeinsam mit IBM wird Fraunhofer 2021 einen Quantencomputer in Deutschland in Betrieb nehmen, um die technologische Souveränität Europas im Bereich Quantencomputing zu stärken.

Das »IBM Q System One« werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Fraunhofer-Allianz Big Data und Künstliche Intelligenz sowie des Fraunhofer-Forschungs­zentrums Maschinelles Lernen für die angewandte Forschung im Bereich der Quanten KI – speziell des Quanten Maschinellen Lernens – nutzen. Insbesondere geht es darum, konkrete Anwendungsszenarien für den zukünftigen Einsatz der Technologie in der Industrie zu entwickeln. Ziel der Initiative ist es, Unternehmen schon früh die Chancen und Möglichkeiten aufzuzeigen, die durch die Kombination dieser Schlüssel­technologien in den nächsten Jahren entstehen werden. Auf dem Weg dahin soll die Fraunhofer-Studie zum Quantum Machine Learning eine erste Orientierung schaffen.

Quelle: Fraunhofer / Foto: Adobe Stock / zapp2photo


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