Warum die Digitalisierung der Kliniken noch immer in den Kinderschuhen steckt

Aus der Printausgabe

Veröffentlicht 19.04.2020 05:10, Kim Wehrs

Es gibt mehrere Gründe dafür, warum sich derzeit so viele Kliniken in den roten Zahlen befinden. Die nur schleppend vorangehende Digitalisierung ist einer davon. Um die immer exorbitanter
wachsenden Verwaltungsaufgaben zu stemmen, die Abläufe besser zu koordinieren und die vorhandenen Potenziale im Haus zu nutzen, haben viele Klinikgeschäftsführer jetzt zwar die
Ausarbeitung eigener Digitalstrategien auf die Agenda gesetzt. Wer allerdings genauer hinsieht und nachfragt, erkennt schnell, dass kaum eine Klinik über eine wirklich klinikumfassende Digitalstrategie verfügt. Maximal gibt es derzeit Strategien und Konzepte für einzelne Bereiche als Insellösungen.

Hohe Priorität hat natürlich der Schutz der kritischen Infrastruktur der Kliniken, online und offline. Auf der Gewährleistung stabiler IT-Systeme und dem Schutz vor Datenverlust
als Folge von Hackerangriffen liegt das Hauptaugenmerk. Um Kosten einzusparen wird vielerorts auch die Idee vom „papierlosen Krankenhaus“ verfolgt. Bei der konsequenten Umsetzung
dieses Vorhabens treten jedoch neben den eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten die Anforderungen des Datenschutzes zunehmend auf die Bremse.
Mit ihren Digitalstrategien bewegen sich die meisten Kliniken also immer noch auf der rein operativen Ebene, eine wirklich strategische Ausrichtung der Digitalstrategie steht noch nicht im Vordergrund.
Es gibt aber auch einige Vorreiter und Vorbilder die aufzeigen, wohin die Reise geht. Kliniken, die mit einem ganzheitlichen Digitalisierungsansatz weit fortgeschritten sind, zeichnen sich in den meisten Fällen durch Merkmale wie beispielsweise folgende aus:

1. Der IT-Leiter ist Kulminationspunkt für Innovationskultur im ganzen Unternehmen und bremst neue Ideen nicht mit dem Blick auf das Budget aus.
2. IT-Mitarbeiter, klinische und administrative Anwender arbeiten nicht bloß in ihren jeweiligen Sphären nebeneinander her, sondern sorgen durch engmaschigen Austausch dafür, dass digitale
Innovationen und neue Verfahren auch wirklich praktisch umgesetzt werden.
3. Klinikgeschäftsleitung und IT-Leitungsebene haben ein gemeinsames und konsentiertes Zielbild und legen ein hohes Maß von Intrapreneurship und Entscheidungsfreudigkeit an den Tag.
4. Die Wirtschaftsplanung umfasst neben den analogen Notwendigkeiten des Hier und Jetzt auch Investitionen in eine digitale Infrastruktur

Digitale Projekte gründlich anzustoßen bedeutet für die Kliniken, dass sie all ihre über die Jahre eingespielten aber oft auch bereits aus der Zeit gefallenen Prozesse in Frage stellen oder
komplett umwerfen müssen. Für viele Entscheider bedeutet ein solch rigoroses Einschreiten aber schlichtweg zu viel Aufwand, da sich schnelle Erlöse nicht garantieren lassen und sie
Entscheidungen für längerfristige Erfolge und Kosteneinsparungen nicht verantworten wollen. Es ist an der Zeit, dass Klinikmanager sich bewusstmachen, dass automatisierte und standardisierte Prozesse Personalressourcen und Kosten einsparen. Vor allem aber verringern sie Fehler, sparen Zeit und steigern den Patientennutzen. Daran führt kein Weg mehr vorbei. Für die positiven Effekte gibt es
zahlreiche Beispiele. Fangen wir an mit der elektronischen Patientenakte:
Seit vielen Jahren ist sie als Buzzword in aller Munde, in vielen Kliniken aber noch immer keine Realität. Dabei ist der Nutzen so unstrittig – Doppelerfassungen von Unverträglichkeiten,
chronischen Erkrankungen, bereits durchgeführter Diagnostik und ähnlichem könnten den Behandlungsprozess schneller, effektiver und kostengünstiger werden lassen. Vor allem aber könnte die Personalbindung im administrativen Bereich gesenkt, Fehler minimiert und die Patientenzufriedenheit gesteigert werden.


Elementares passiert auch abseits der Krankenhausflure: Die Digitalisierung von Nebenprozessen im Tagesablauf eines Krankenhauses (wie z.B. Einkauf und Logistik) ist für den
Patienten zwar nicht sichtbar, erhöht die Versorgungsqualität aber ungemein. Gute Erfahrung gibt es beispielsweise mit der Nutzung barcodebasierter Artikelkennung und webbasierten
Bestellprozessen. Sie erleichtern eine effiziente Verbrauchssteuerung, verhindern Engpässe bei der Versorgung und gewährleisten eine bessere Rückverfolgbarkeit von Produkten.
Digitale Schranksysteme können zudem als virtuelle Assistenten die Logistik und den Einkauf entlasten und sorgen für einen effizienten Prozessablauf.

Das Tracking von Patientenströmen und Geräten kann zu einer optimalen Steuerung der Patienten während des Klinikaufenthalts beitragen. Hier gibt es neben RFID-Lösungen auch
IOT-Ansätze, die mit Bluetooth arbeiten und nicht nur in Echtzeit zeigen, wo sich Patienten oder Geräte befinden, sondern beispielsweise anzeigen können, wie viel Sauerstoff noch in
den jeweiligen Flaschen auf den Stationen ist. So können wertvolle Erkenntnisse gesammelt und viel Zeit gespart werden. Im Alltag ist das Suchen und Auffinden von Betten, Infusomaten,
Sauerstoffflaschen und ähnlichem ein enormer Zeitfresser für das Personal. Zu wissen, wo sich welcher Patient gerade befindet, hilft der Disposition des Hol- und Bringedienstes, der
dann seine Touren optimieren und Wartezeiten in kalten Fluren oder Vorräumen für die Patienten verringern kann. Auch im direkten Umgang mit den Patienten erleichtern digitale Hilfsmittel den Alltag der Mediziner: Spezielle mit Barcodes versehene Armbänder zeigen Ärzten und Pflegepersonal auf einen Blick, welche Medikamente benötigt werden. Das leidige Durchwühlen der Patientenakte gehört damit der
Vergangenheit an. In einer ganzheitlichen Digitalstrategie darf zudem der gezielte Einsatz von Robotern und Künstlicher Intelligenz nicht fehlen. Roboter leisten hervorragende Dienste beim Auffüllen
von Regalen oder dem Transport von Patienten und Waren.


Doch nicht nur in der Krankenhauslogistik, sondern auch im Operationssaal spielen Roboter eine immer wichtigere Rolle:
Durch die Medien seit Jahren auch schon einem Laienpublikum bekannt, ist der Da-Vinci-OP-Roboter. Unter anderem aus Kostengründen wird dieser hierzulande erst in wenigen Kliniken und nur sehr gezielt eingesetzt. Dabei werden OPRoboter zur Zukunft der Medizin gehören. Wer sich dieser Entwicklung verschließt, wird langfristig auf dem Klinikmarkt nicht bestehen können. Roboter-Unterstützung in der Pflege
ist kein Science-Fiction mehr und gerade in Zeiten des Pflegekraftmangels eigentlich ein Muss.


Die Digitalisierung ist unaufhaltbar – gerade in der Medizin. Das Ziel bleibt dasselbe: Patienten medizinisch bestmöglich zu versorgen. Die Wege, dieses Ziel zu erreichen, werden sich ändern: Ärzte und Pflegekräfte werden auf digitale Unterstützung zurückgreifen können. Nur wer bereit ist, mitzuziehen und die richtigen Mitarbeiter für diese Herausforderung zu gewinnen oder zu qualifizieren, wird mittelfristig überleben.

Über den Autor: Dr. med. Djordje Nikolic ist Gründer und Geschäftsführer von consus clinicmanagement.
Der Arzt und Betriebswirt war zuvor viele Jahre lang als Klinikgeschäftsführer in Krankenhäusern verschiedener Versorgungsstufen tätig. Er kennt daher Kliniken sowohl von der medizinischen als auch von der ökonomischen Seite.


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