Deutschland auf der Suche nach dem digitalen Impfpass

Impfpass

Veröffentlicht 30.07.2021 11:30, Dagmar Finlayson

Die Covpass-App steht seit dem 10. Juni 2021 zum Download bereit. Erfreuliche Nachrichten, weil wir uns nun nicht mehr auf unseren in die Jahre gekommenen gelben Impfpass verlassen müssen. Die Covpass-App ist die deutsche Antwort auf den in der EU beschlossenen europäischen Impfpass, mit dem das Reisen innerhalb der EU erleichtert werden soll. Beitrag von Gerhard Zehethofer, Vice President IoT & Technology Partnerships bei ForgeRock

Dieses Mal war Deutschland recht schnell mit einer digitalen Antwort auf das Papier-Impfpassproblem und auf die Frage, wie man eine EU-weite Nachvollziehbarkeit schaffen kann. Lediglich sieben andere EU-Länder hatten zu diesem Zeitpunkt bereits eine Lösung auf den Markt gebracht – neben Dänemark, Kroatien, Bulgarien, Griechenland, Polen und Tschechien gehörte auch Deutschland zu den „Early Adopters“. Selbst das wichtige Thema Datenschutz und Datenhaltung wurde soweit zufriedenstellend geklärt. Schaut man aber in die Details dieses Impfpasses oder besser gesagt des Impfzertifikates, erkennt man zwei zentrale Punkte, die nicht ganz stimmig sind:

  1. Das digitale Impfzertifikat ersetzt den gelben Papierimpfpass nicht. Es ist lediglich eine Bestätigung über die eine Corona-Impfung, die im eigentlichen Impfpass derzeit nachzuschlagen wäre. Anders gesagt: Es handelt sich nur um einen QR-Code, der ebenso gut auch in ausgedruckter Form funktioniert und der, losgelöst von allen anderen Gesundheitsdaten, für die erfolgte zweifach Impfung ausgestellt wird.
  2. Es herrscht noch keine Einigkeit darüber, ob ein digitales Impfzertifikat der richtige Weg ist. Neben den ethischen Diskussionen ist unklar, was mit dem Nachweis passiert, wenn der Impfschutz abgelaufen ist. In Israel – einem der Länder, die bereits frühzeitig einen digitalen Impfnachweis entwickelten – ließen sie ihn Anfang Juni schon wieder fallen, weil die niedrigen Infektionszahlen zu dieser Zeit einen Nachweis anscheinend nicht mehr notwendig machten. In den USA wird schon seit einiger Zeit darüber diskutiert, ob ein Impfnachweis verpflichtend sein sollte oder nicht.

Bei allem Lob, dass Deutschland dieses Mal in einer Digitalisierungsaufgabe schnell reagieren konnte, bleibt in Anbetracht dieser Punkte immer noch die Kernfrage, wie schnell die digitale Lücke in unserem Gesundheitssystem geschlossen wird und man sich weg von Insellösungen bewegen kann, die viel Geld und Ressourcen verbrauchen und nur punktuell und schlimmstenfalls auch nur für kurze Zeit sinnvoll sind.

Dänemark als globaler Vorreiter

Wir benötigen dringend einen digitalen Gesamtansatz für unser Gesundheitssystem. Dänemark macht es uns vor: Kern des digitalen Gesundheitssystems ist dort schon seit 2003 das digitale Gesundheitsportal Sundhed. Bei Geburt erhält jeder dänische Bürger eine digitale Identität – eine Identifikationsnummer – mit der er sich jederzeit in dem Portal anmelden kann und ab einem Alter von 15 Jahren all seine medizinischen Daten und Informationen findet. Für die Dänen ist es damit auch selbstverständlich, sämtliche COVID-Befunde in diesem Portal abzurufen. Geht es um Neuentwicklungen, wie zum Beispiel das Impfzertifikat, dann ist es für Dänemark ein Leichtes auf Basis der vorhandenen Infrastruktur neue Dienste einzuführen. Deshalb waren die Dänen im Februar 2021 auch ein globaler Vorreiter als sie die Verfügbarkeit eines Impfzertifikates auf ihrem Gesundheitsportal ankündigten.

Ansätze für einen vollständigen digitalen Impfpass in Deutschland

Das Gesundheitssystem in Deutschland ist allerdings komplizierter als in Dänemark, weil es – im Gegensatz zu einem zentralen staatlichen Gesundheitssystem – föderalistisch organisiert ist und damit viel mehr Beteiligte und Zuständigkeiten abdeckt. Das Kerndigitalisierungsprojekt der deutschen Gesundheitsbranche ist zurzeit die elektronische Patientenakte (ePA). Innerhalb der ePA ist der digitale Impfpass nur ein Teilprojekt (neben anderen Themen wie z. B. dem Mutterpass oder dem Zahnarztbonusheft), an dem die Kassenärztliche Vereinigung arbeitet.

In einer Erklärung aus dem letzten Jahr hatte die Bundeskassenärztliche Vereinigung den digitalen Impfpass bereits angekündigt. Er wurde als erstes “MIO” (= medizinisches Informations-Objekt) diskutiert, definiert und festgelegt und soll ab 2022 in der elektronischen Patientenakte zur Verfügung gestellt werden.

Wie auf ein, oder künftig dann viele verschiedenen, MIOs innerhalb der ePA zugegriffen wird, das regelt das Zugriffs- bzw. das digitale Identitätsmanagement (engl. Identity and Access Management (IAM)). Die Aufgabe des IAMs ist es, Zugriffe einfach und gleichzeitig absolut sicher, feingranular sowie datenschutzkonform in die „digitale Welt“ zu bringen. Beschäftigte im Gesundheitssektor sollen nicht den Großteil ihrer Zeit mit einer ePA, und den damit verbundenen verschiedenen MIOs, verbringen. Die Verwaltung digitaler Daten soll Abläufe schneller, einfacher und sicherer machen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass die Bürger und Bürgerinnen immer die Hoheit über ihre Gesundheitsdaten haben. Der Versicherte muss in der Lage sein, festzulegen, wer welche Daten, wann und für wie lange einsehen kann. Dazu gört auch der Widerruf von erteilten Zugriffsrechten.

Noch erfordern diese Projekte eine Menge Abstimmungsbedarf, wie auch der Erklärung der KBV zu entnehmen war. Die KBV bekam im Rahmen der Erstellung des MIO Impfpass zahlreiche Hinweise – ganze 380 Kommentare von fast 50 Organisationen wurden abgegeben, bewertet und konnten größtenteils übernommen werden.

Fazit

Das alles deutet darauf hin, dass wir mit der ePA 2.0 im Jahr 2022 endlich eine große digitale Lücke in unserem Gesundheitssystem schließen könnten und Silo-Applikationen wie die Covpass-App künftig der Vergangenheit angehören bzw. höchstens in einem weiteren MIO enden werden. Der Ausnahmezustand, mit dem wir seit über einem Jahr konfrontiert sind, zeigt uns auch bei diesem Projekt, dass es keinen Weg zurückgeben wird. Von dem alten, analogen Gesundheitssektor werden wir uns verabschieden müssen. Die Digitalisierung, aufbauend auf einem ganzheitlichen Ansatz, wird uns zu einer dringend erforderlichen gesteigerten Agilität, Effizienz und Schnelligkeit in diesem Bereich verhelfen.

Autor:

Gerhard Zehethofer, Vice President IoT & Technology Partnerships bei ForgeRock (Bild: ForgeRock)

Quelle Bild: Pixabay


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