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Reformen und Digitalisierung im Gesundheitswesen – ist das vorstellbar?
Category : Blog
Published by Kim Wehrs on 26.03.2023 14:30

Wir haben die Ökonomie zu weit getrieben", titelte jüngst der Bundesgesundheitsminister. Dabei hat er in guter medizinischer Betrachtung einen Begriff falsch gewählt. Es hätte wohl eher „Bürokratie“ heißen müssen, um ernsthafte Schritte zu machen. In einem beitrags- und steuerfinanzierten System hat die Ökonomie durchaus ihre Berechtigung. Von Michael Thoss, Leiter Krankenhaus-IT, Fachautor.

Was sollen die angekündigten „Reformen“ bringen? Krankenhäuser als optionale Tageskliniken? Pflegegeleitete Kliniken, wo doch genau genommen die Voraussetzungen in den betriebswirtschaftlichen Grundlagen fehlen (so wie bei Medizinern)? Partielle Problembetrachtungen statt gesamthafter Ansätze helfen nicht weiter. Krankenhaus funktioniert nicht ohne ambulante Versorgung,
Feuerwehr und Rettungsdienst nicht ohne Krankenhaus, Krankenhausnicht ohne Anschlussversorgung in der Pflege und und und… Stetig wird der Wert der ambulanten Versorgung betont (KVen, BÄK usw.), aber als Patient findet man kaum noch COVID-Impfmöglichkeiten beim Hausarzt. Arztpraxen auf dem Land sind kaum noch zu besetzen. Arbeitnehmerüberlassung nimmt in den Kliniken immer mehr zu, weil die Arbeitsbedingungen als Leiharbeitnehmer „besser“ sind, wird aber durch die Kostenträger nicht vergütet bzw. nur anteilig (30%). Die Liste ist endlos. (Zu endlos für diesen Beitrag.)


Was muss bei der „Digitalisierung“ also tatsächlich „reformiert“werden?

Da wäre einmal das Thema der Finanzierung der Digitalisierung. Alle „Vorstellungen“, die zu diesem Thema vorherrschen, kosten Geld, viel Geld. Das aber nicht nur bei der Beschaffung, sondern auch im laufenden Betrieb. Das KHZG ist ein Faustkeil ohne echte Wirkung. Warum?

A) Es sind nicht 4,3 Milliarden Euro, sondern lediglich 3,6 für Beschaffungen. Die Steuer wechselt beim edlen „Geber“ nur von der linken in die rechte Tasche.

B) von den 3,6 Milliarden verbrennen Millionen für die verpflichtenden bürokratischen Verfahren. Da wäre die Ausschreibungsbegleitung in einem Fördertatbestand: ca. 40-50 TEuro Berater für LV und Formfragen, unterschiedliche Aufwände für die Ausschreibung (geschätzt 20-40 TEuro inkl. Rechtsprüfung u.v.m.), sinnfreie IT-Dienstleisterkosten (via 30 Minuten-Online-Prüfung bei 2-3 Stunden Gesamtaufwand…) für Antragstellung, Verfahrensbegleitung, Abschlussbericht usw. Nochmal wie viel? 20-50 TEuro. Die Eigenkosten der Kliniken für Administrationsaufwände zu Projektberichten, Änderungsmeldungen, Verwendungsnachweisen, Zahlungsanforderungen u.v.m. Macht in Summe je Fördertatbestand mal eben was? 110-180TEuro? Weg! Kein zusätzliches Produkt gekauft, kein weiterer Nutzen geschaffen. Und da man bei Ausschreibungen auch noch einen Auftragswert angeben muss, kennt jeder Anbieter die mögliche Zielgröße seines Umsatzes und wird selbstlos spenden. Je nach Verfahren gibt es zudem keine weiteren Verhandlungsoptionen. Jede freihändige Vergabe bringt somit nach den Gesetzen der Marktwirtschaft ein deutlich besseres Ergebnis. In erster Linie wird also die deutsche (Über-)Bürokratie bedient. Dabei wäre die Steuer auch ohne den ganzen kostenintensiven Aufwand ohnehin beim Staat geblieben, bei der Beschaffung von Produkten allerdings mit mehr Nutzen für den „Digitalisierer“ und den Steuerbürger/ Patienten.

C) Die 800 Millionen jährlicher Instandhaltungsaufwand (inkl. Steuern rechts/links) müssen ab 2025 auch irgend woher kommen. Von den klammen Kassen? Aus „Sondervermögen“ (neudeutsch für „Geld drucken“)?

Man darf auf die InEK-Kalkulationen gespannt sein und wann diese nach 2025 wohl volle Wirkung zeigen. Ansonsten werden die Defizite der Kliniken weiter steigen – kraft Digitalisierungskosten. Zum anderen sollte der Staat mehr Verantwortung übernehmen und nicht stetig auf föderale, häufig nicht standardisierte „Industrielösungen“ setzen. Aber das schafft er nicht einmal bei sich selbst, oder wie erklärt sich, dass man zuerst ein nicht-standardisiertes DEMIS-Verfahren (Basis RKI) einführen muss, aber die gematik dafür in der Folge etwas auf TI-Basis schaffen soll? Eventuell doppelt finanzieren? Was passiert eigentlich mit den Daten? Über die Nachrichten erfährt niemand etwas von den Ergebnissen der Aufwände, die sieben Tage je Woche durch die Kliniken geleistet werden müssen, und bei deren organisatorischen Aufwänden die „Digitalisierung“ keinen ernsthaften Vorteil bringt. Oder: 9,90 Euro für eine KIM-EMail-Adresse/Monat, wirklich? TIDienste, die die Bürokratie entlasten, aber dem Patienten nichts bringen? Eine eAU die letztendlich einen zusätzlichen Prozess beim Arbeitgeber schafft? Ein eRezept, das weiterhin den Patienten als Boten nutzt, zumindest sofern er gerade Netz hat? Eine ePA, die organisatorisch belastend ist, aber einen kaum nennenswerten Nutzwert erzeugt, weil Haftungsfragen unklar sind und die Vollständigkeit ohnehin kraft Konzept (oder dessen Fehlen) nicht zu gewährleisten ist? Es gibt viele regelungsbedürftige Themen noch aus der letzten Legislaturperiode, und zwischendurch wird hinter den Kulissen die Datenübertragung in der Unfallversicherung umgestellt. Was Kosten verursacht, die nicht geregelt sind. Ständig wird der „Fachkräftemangel“ zitiert, aber Arbeitnehmerüberlassung durch schlechte Rahmenbedingungen in den Kliniken unterstützt (kostet die Kostenträger am Ende ja auch weniger…).

Derzeit produziert jede „Modernisierung“ und „Digitalisierung“ des Gesundheitswesens steigende Kosten aufgrund der erforderlichen IT-Infrastruktur, und zwar erhebliche, zumindest sofern sie über die öffentliche Hand verlangt und eingepreist werden. Interessant ist, wie dabei so geheimnisvolle „Einsparungen“ von über 40 Milliarden Euro zusammenkommen sollen, wie sie von manchen Beratern zuletzt wieder „errechnet“ (?) und verbreitet wurden. Allein die Softwarekosten bei den Herstellern für „Pflichtanwendungen“ im Kontext TI und sonstiger Amtsschimmel gehen derzeit durch die Decke und eine Wahl
haben die Kliniken nicht. Steht doch im Hintergrund stets ein passendes Gesetz mit illusorischen Terminen angesichts der behördlichen Bearbeitungszeiten und Malus-Drohungen (bspw. KHZG) als „Motivationsanreiz". Wie wäre es denn zur Abwechslung einmal mit Nutzen für den Patienten als Anreizsystem? Dann wäre der Staat allerdings raus, er kann nur Bürokratie.

Folglich wird sich durch die „Reformen“ und die „Digitalisierung“ nichts ändern. Weil sie halbherzig partiell ansetzen, den Staat aus der Verantwortung lassen und weiterhin darauf abzielen, die Krankenhäuser wirtschaftlich auszuhungern. Vorzugsweise damit sie durch eigenes Versagen insolvent werden und nicht auf staatliche Anordnung geschlossen. Das wäre auch schlecht für die nächsten Wahlergebnisse. Für bessere Ergebnisse würde man ein Konzept benötigen…

Wegen der angestrebten „Wiederwahl“ möchte jedoch weiterhin kein Politiker ernst zu nehmende Schritte einleiten („Abriss“), daher wird das Stückwerk mit schlechten Ergebnissen für viel wirtschaftlichen Aufwand weitergehen.

Autor: Michael Thoss,Leiter Krankenhaus-IT und Fachautor