hilfe.jpg
Digitale Hilfen für mehr Selbstständigkeit sehbehinderter Menschen
Category : Digitalisierung
Published by Kai Wehrs on 24.11.2025 10:10

RRZE-Informatiker Hakan Calim will Start-up gründen - Es ist ein ehrgeiziges Ziel, das Hakan Calim verfolgt. Er möchte die physikalischen Bodenleitlinien, die Menschen mit Sehbehinderung in Bahnhöfen oder auf öffentlichen Plätzen Orientierung bieten, digitali-sieren. Er selbst ist blind und weiß, wie wichtig entsprechende Mobilitätshilfen sind. Der Informatiker arbeitet in der Forschungsgruppe Netz des Regionalen Rechenzentrums Erlangen (RRZE) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU).

Aus eigener Erfahrung weiß Calim, wie uneingeschränkte Mobilität über die gesellschaftliche Teilhabe entscheidet: Der Verlust seiner Sehkraft trat in der Jugend ein, während seines Studiums erblindete er vollständig. Schon früh beschäftigte ihn daher die Frage, wie Technologie helfen kann, Barrieren abzubauen. Deshalb möchte er mit seinem Wissen anderen Menschen mit gleichen Einschränkungen helfen. Aus dieser Motivation heraus entwickelte er bereits das Forschungsprojekt SENSESATION, bei dem ein Wearable blinde oder sehbehinderte Menschen bei der Navigation unterstützt.

Von physischen Linien zum digitalen Pfad

Im Zentrum seines aktuellen Vorhabens steht die Frage, ob sich Bodenleitlinien durch ein digitales System ersetzen lassen. Denn diese müssen zum einen aufwendig verlegt und vor allem regelmäßig gewartet werden, damit sie ihre Wirksamkeit nicht verlieren. Calims Ansatz verbindet GPS mit Künstlicher Intelligenz. In die Spitze eines Blindenstocks soll ein GPS-Tracker integriert werden. Eine App vergleicht die Echtzeit-Position des Stocks mit einer zuvor digital definierten Route. Läuft die Person auf diesem vorgegebenen Pfad, vibriert der Stock. Weicht die Person von der Route ab, weil sie beispielsweise zu weit links geht, stoppt die Vibration. So entsteht eine virtuelle Bodenleitlinie, die den Weg von A nach B weist.

Die Herausforderung liegt in der Genauigkeit. Herkömmliche GPS-Systeme weichen oft mehrere Meter ab. Das ist zu viel für eine sichere Navigation im Straßenverkehr. Neuere Verfahren mit Echtzeitkorrektur erreichen hingegen Zentimetergenauigkeit und genau darauf baut Calim auf. Langfristig könnte daraus eine alltagstaugliche Lösung entstehen, die sehbehinderten Menschen ganz ohne aufwendige Bauarbeiten mehr Sicherheit und Unabhängigkeit bietet.

Seine Vision für ein Start-up

Unterstützt wird er vom Lehrstuhl für Mustererkennung bei Prof. Dr. Andreas Maier, der ihn fachlich und bei der Entwicklung erster Prototypen begleitet. Hier forscht Calim parallel an seiner Promotion, in welcher er untersucht, wie Deep Learning die Mobilität und Navigation sehbehinderter Menschen verbessern kann. Diese Arbeit bildet zugleich die wissenschaftliche Grundlage für sein Projekt.

Gleichzeitig bereitet Calim die Gründung eines Start-ups vor, um das System im Raum Erlangen anbieten zu können. Dafür sucht er aktuell Teammitglieder aus den Fächern Elektrotechnik und Softwareentwicklung. Denn um die Prototypen weiterzuentwickeln, braucht es Expertise in der App-Entwicklung, Bluetooth-Navigation und GPS-Integration. Es ist ein großer Balanceakt zwischen der beruflichen Tätigkeit am RRZE, seiner Promotion und dem Gründungsvorhaben.

Zukunftsmodell aus Erlangen

Interessierte Master-Studierende können sich jederzeit bei Calim melden und daran mitwirken, Städte zukünftig mit digitalen Bodenleitlinien auszustatten, welche sich ohne Baustellen erweitern, aktualisieren und individuell anpassen lassen. Stets im Mittelpunkt des Forschungsvorhabens stehen dabei jene im Mittelpunkt, die aufgrund einer Sehbehinderung auf präzise Orientierungshilfen angewiesen sind.

Mehr Informationen

Hakan Calim
Regionales Rechenzentrum Erlangen Forschungsgruppe Netz
Tel. 09131/85-28689
hakan.calim@fau.de

Quelle: Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg

Bild: shutterstock/FooTToo - FAU