Viel Luft nach oben bei der Digitalisierung der Krankenhäuser

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Veröffentlicht 10.11.2023 10:20, Kim Wehrs

Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen. So lautet ein chinesisches Sprichwort. Wenn es danach bei der digitalen Transformation des Gesundheitswesens geht, sind bei uns die Maurermeister der Nation am Werk. Der Digital-Health-Index der Bertelsmann Stiftung belegt: Deutschland rangiert im vergleichenden Gesamtranking mit anderen OECD- und EU-Staaten abgeschlagen auf dem vorletzten, dem 16., Platz. Die vielen Chancen der Digitalisierung der Medizin bleiben weitgehend ungenutzt. Von Dr. Nicolas Krämer, Vorstandsvorsitzender HC&S AG 

Der Anwendungsgrad moderner Technologien wie Telemonitoring und Videosprechstunden ist im internationalen Vergleich als ausgesprochen niedrig anzusehen. Versuche, die Digitalisierung voranzutreiben, sind bislang nicht von Erfolg gekrönt. Don Quijote lässt grüßen. Zwar hat das Bundesamt für Soziale Sicherung  die mit dem KHZG bereitgestellten Fördermittel in Höhe von etwa 3 Milliarden Euro mittlerweile fast vollständig ausgezahlt, dennoch läuft die Umsetzung schleppend. 

Die zweite Reifegradmessung soll vom 31. Dezember dieses Jahres um ein halbes Jahr nach hinten verschoben werden. Verspätungen wie bei der Deutschen Bahn passen ins Bild. So wurde die Einführung der elektronischen Gesundheitsakte bereits 2003 vom Deutschen Bundestag beschlossen.

Ziele waren die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, Qualität und Transparenz der ärztlichen Behandlung sowie eine Beschleunigung des Informationsaustauschs zwischen Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern, Apotheken und Krankenkassen. Zudem sollten unnötige und die Patienten belastende Doppeluntersuchungen vermieden werden.

Sechs Jahre dauerte es, bis die Gesetzlichen Krankenversicherungen mit der Ausgabe der elektronischen Gesundheitskarte an ihre Mitglieder begannen. Und ob die mit ihrer Einführung verfolgten Ziele seitdem erreicht wurden, sei dahingestellt.
 

Strategische Orientierung und finanzielle Anreize 

2005 wurde die gematik gegründet. Sie bringt immer neue Standards und Vorschriften heraus. Bei der tatsächlichen Datennutzung rangiert Deutschland im Digital-Health-Index in der entsprechenden Kategorie aber auf einem ernüchternden 15. Platz. Neben den typisch deutschen strengen Datenschutzbestimmungen mangelt es laut Bertelsmann Stiftung an einer übergeordneten strategischen Orientierung und finanziellen Anreizen, die von der Industrie gefertigten und von der gematik zertifizierten Lösungen flächendeckend einzuführen und zu betreiben. Daran ändert auch das KHZG bislang wenig. 

Neben den in einer regulierten Branche wie dem Gesundheitswesen zweifelsohne berechtigten und wichtigen gesetzlichen Rahmenbedingungen spielt auch die Mentalität eine Rolle. Obwohl roboterassistierte chirurgische Eingriffe zu einer erhöhten Präzision führen, obwohl der Einsatz von künstlicher Intelligenz bei vielen Krankheitsbildern zu besseren Diagnosen führt, obwohl die Nutzung von Big Data auch bei tödlichen Krankheiten zu einem besseren Output führt, ist bei vielen Patienten immer noch eine skeptische Haltung zu beobachten.

Gemäß Bosch KI-Zukunftskompass 2020 wird dem Menschen größeres Vertrauen geschenkt als der Maschine oder der digitalen Anwendung. Während beim Bau von Flugzeugen (22%) und Autos (17%) dem Menschen eine geringere Kompetenz zugewiesen wird als der Künstlichen Intelligenz, verhält es sich bei gesundheitlichen Problemen (65%) sowie in der Kranken- und Altenpflege (77%) andersherum.
 

Risiken und Nebenwirkungen der Digitalisierung

Ein letzter hier angesprochener Punkt betrifft die Risiken und Nebenwirkungen der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Nachdem seit 2016 in der Folge von Pressemeldungen über Cyberangriffe auf Krankenhäuser zunächst dafür gesorgt wurde, dass sich die Klinikverantwortlichen im Hinblick auf IT-Sicherheit zunächst intensiv mit Präventionsmaßnahmen beschäftigten und auch bereit waren, die erforderlichen Mittel zu investieren, war von dieser Überzeugung wenig übrig geblieben, als im Rahmen der Coronapandemie digitale Anwendungen wie Videokonferenzsysteme mit der Brechstange und unter hohem Zeitdruck eingeführt wurden. Obwohl 15% der KHZG-Mittel in IT-Sicherheitsmaßnahmen zu investieren sind, hat die Awareness für Cybersicherheit in den deutschen Krankenhäusern in den letzten Jahren trotz gestiegener Gefahrenlage rapide abgenommen. In Zeiten struktureller Unterfinanzierung und real zurückgehender Investitionsfinanzierung der Bundesländer fehlt vielen Krankenhäusern aktuell schlichtweg das erforderliche Geld.

Am Vorabend der Krankenhausreform steht das Gesundheitswesen vor einer tiefgreifenden Transformation. Der Digitalisierung wird dabei eine entscheidende Rolle zukommen. Damit der Wandel gelingt, benötigen wir Windmühlen. Und keine Mauern.
 

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Dr. Nicolas Krämer ist Vorstandsvorsitzender der auf Sanierung spezialisierten Krankenhausmanagementgesellschaft HC&S AG. 

Über den Autor: Dr. Nicolas Krämer ist Vorstandsvorsitzender der auf Sanierung spezialisierten Krankenhausmanagementgesellschaft HC&S AG (www.hc-s.com). Er verfügt über mehr als 20 Jahre Berufserfahrung im Gesundheitswesen. In seiner Laufbahn bekleidete er verschiedene Führungspositionen in Krankenhäusern unterschiedlicher Trägerschaften. U.a. war er sechs Jahre lang Geschäftsführer eines kommunalen Maximalversorgers in Nordrhein-Westfalen. Ein von ihm geleitetes Krankenhaus wurde Opfer eines Cyberangriffs. Sein Krisenmanagement führte zu einer überregionalen Bekanntheit Krämers, der Autor zahlreicher Publikationen ist. Zu den von ihm mitherausgegebenen Büchern gehört u.a. das Standardwerk „Digitale Transformation im Krankenhaus“. 2020 wurde Krämer mit dem Titel „Transformation Leader“ ausgezeichnet.

 


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