Prozessmanagement im Krankenhaus
Die Nutzenpotenziale von IT-Systemen in Krankenhäusern werden oft nicht im vollen Maße ausgeschöpft, da sie häufig implementiert werden, ohne gleichzeitig die Arbeitsabläufe im Haus entsprechend anzupassen. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt im Ansatz der Einführungsprojekte: Üblicherweise werden die Systeme durch die Berater der Softwarehersteller eingeführt, die einen Fokus auf die Funktionen der Software haben. Aufgrund knapper Budgets, unzureichender Personalressourcen und mangelnder Erfahrungen bleiben umfassende Prozessanpassungen, die notwendig sind für eine wertschöpfende Nutzung der IT-Systeme, meistens auf der Strecke. Durch das KHZG bieten sich die Chancen, zumindest die Budget-Engpässe aufzulösen. Dr. Markus Ruppel, Managing Partner bei Better Healthcare, stellt ein Vorgehensmodell zur Umsetzung eines klinikweiten Prozessmanagements vor, das die Synchronisation von Prozessen und IT im besonderen Maß berücksichtigt.
Die Prozesslandkarte als Ausgangspunkt für das Prozessmanagement
Unter einem (Geschäfts-)Prozess versteht man eine definierte Abfolge von Wertschöpfungsaktivitäten zur Erfüllung einer betrieblichen Aufgabe. Diese Prozesse werden oft in Form von piktografischen Diagrammen, sog. Flow Charts, dargestellt (s. u.). Prozessmanagement umfasst die Planung, Durchführung, das Controlling sowie die Optimierung dieser Prozesse und bildet somit den übergeordneten Rahmen im Umgang mit den Prozessen.
Um eine Grundlage für das Prozessmanagement zu schaffen, ist es im ersten Schritt notwendig, alle im Krankenhaus verwendeten Prozesse zu identifizieren. Es bietet sich an, diese Prozesse in einem hierarchischen Prozessverzeichnis zu katalogisieren, das mit jeder Hierarchieebene detaillierter wird. Die hierarchische Organisation steigert die Transparenz und vereinfacht die Orientierung bei der Suche von Prozessen. Startpunkt ist hierbei meistens die oberste Hierarchie-Ebene des Katalogs, die oft in Form einer sog. Prozesslandkarte (vgl. Abb. 1) erfasst wird. Dabei werden die Prozesskategorien Kern-Prozesse („wertschöpfender“ Charakter), Management-Prozesse („wertschaffender“ Charakter) und Support-Prozesse („wertsichernder“ Charakter) unterschieden.
Abb. 1: Beispiel für eine Prozesslandkarte im Krankenhaus
Prozessmanagement als Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP)
Prozessmanagement sollte nicht als einmaliges Vorhaben, sondern als zyklischer Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) verstanden werden. Jeder Durchlauf besteht dabei aus jeweils vier Schritten (vgl. Abb. 2):
- Bewertung der Prozesse
- Auswahl des zu verbessernden Prozesses
- Verbesserung des Prozesses
- Aktualisierung Bewertung der Prozesse
Abb. 2: Der Kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) des Prozessmanagements
In den ersten beiden Schritten geht es darum, zunächst diejenigen Prozesse zu identifizieren, die im Rahmen des aktuellen KVP-Zyklus optimiert werden sollen. Hierbei gibt es zwei alternative Herangehensweisen: Top-Down und Bottom-Up.
Top-Down
Der Top-Down-Ansatz sieht vor, dass alle im Verzeichnis erfassten Prozesse a priori im Detail erhoben, bewertet und mit einem jeweils zu definierenden Zielwert verglichen werden. Auf Basis dieser Scores werden die zu verbessernden Prozesse dann analytisch (größte Differenz zwischen Soll- und Ist-Score) identifiziert.
Bottom-Up
Die Entscheidung, ein Prozessmanagement in einem Krankenhaus einzuführen, basiert im Allgemeinen auf einem Handlungsbedarf, der sich aus erkannten Problemen im Arbeitsalltags ergibt. Diese im Vorfeld identifizierten Problemen sind der Ausgangspunkt für den Bottom-Up-Ansatz. Mit Hilfe des Prozess-Verzeichnisses werden nun diejenigen Prozesse bestimmt, die Einfluss auf das jeweilige Problem nehmen. Dies sind gleichzeitig die Prozesse, die im jeweiligen KVP-Zyklus zu optimieren sind.
Die Wahl des geeigneten Ansatzes hängt wesentlich von den Zielen und den zur Verfügung stehenden Ressourcen des Krankenhauses ab. Dabei sind auch Hybrid-Varianten denkbar. Die Vor- und Nachteile der beiden Ansätze werden in Abb. 3 zusammengefasst.
Abb. 3: Vor- und Nachteile des Top-Down- und des Bottom-Up-Ansatzes
Als Output der ersten beiden Arbeitsschritte sind die folgenden Ergebnisse zu erarbeiten:
- Identifikation des Prozesses innerhalb des Prozessverzeichnisses, der zu optimieren ist
- Identifikation der Zielsetzung der Optimierung (z. B. „Reduktion der Durchlaufzeit“, „Steigerung der Behandlungsqualität“)
- Definition eines Maßes (Score) zur Bewertung des Prozesses hinsichtlich der Zielsetzung
- Definition eines Ziel-Scores, der durch die Verbesserungsmaßnahmen mindestens erreicht werden soll
Der Schritt 3 „Verbesserung des Prozesses“ (vgl. Abb. 2) ist ein iterativer Sub-Zyklus innerhalb des KVP-Zyklus, in dem der identifizierte Prozess mit Hinblick auf die festgelegte Zielsetzung optimiert wird. Er umfasst die folgenden 6 Schritte:
3.1 Erhebung „IST“ bzgl. IT und Workflows
3.2 Prozess-Schwächen identifizieren
3.3 SOLL-Prozess ableiten
3.4 SOLL-Konzept-IT erstellen
3.5. Implementierung „SOLL“ (Prozess & IT-Konzept)
3.6. Bewertung der Ergebnisse
In Schritt 3.1 wird zunächst die IST-Situation des aktuell gelebten Prozesses inklusive seiner Abbildung in den IT-Systemen erhoben.[1] Für eine übersichtliche Darstellung der Prozesse bietet es sich an, diese in Form von sog. Flow-Chart-Diagrammen zu modellieren.[2] Diese grafischen, einfach zu überschauende Darstellungen verwenden verschiedene Piktogramme (z. B. für Aktivitäten, logische Verzweigungen, Start-Ereignisse, …), um den Handlungsablauf abzubilden. Dabei werden die IT-Systeme üblicherweise als eigene „Akteure“ aufgefasst, so dass sich die IST-Situation der IT zumindest grundlegend mit in die Flow-Charts einbeziehen lässt.
In Schritt 3.2 wird der IST-Prozess auf Schwachstellen hinsichtlich der definierten Zielsetzung untersucht. Maßgeblich ist auch hier das zuvor definierte Bewertungsmaß, das im Idealfall auf die einzelnen Prozess-Aktivitäten heruntergebrochen und angewendet wird, um eine maximale Transparenz über die Verbesserungsansätze zu erhalten.
In den Schritten 3.3 und 3.4 werden die verbesserten, zukünftigen SOLL-Prozesse sowie das Customizing-Konzept zur Abbildung dieser Prozesse in den IT-Systemen designt. Hierbei ist eine synchrone Erarbeitung dieser Komponenten essenziell wichtig, da sie sich gegenseitig beeinflussen:
- Das Customizing der IT-Systeme muss so angepasst werden, dass die optimierten Prozesse in geeigneter Weise abgebildet werden.
- Die Prozesse müssen im Rahmen der Optimierung so gestaltet werden, dass eine Abbildung im Rahmen des Customizings der IT-Systeme überhaupt möglich ist.
In Schritt 3.5 werden die SOLL-Prozesse in den IT-Systemen umgesetzt und – zunächst zur Erprobung - in (Teilen) der Organisation eingeführt. Im Rahmen der Erprobung wird die Gebrauchstauglichkeit des neuen Prozesses bewertet (Schritt 3.6). Die Bewertung erfolgt wie gehabt anhand des zuvor definierten Bewertungsmaßes. Sofern das Verbesserungsziel (Output aus dem KVP-Schritt 2, s. o.) erreicht wurde, so kann der KVP-Sub-Zyklus „3. Verbesserung des Prozesses“ (vgl. Abb. 2) abgeschlossen werden. Ansonsten ist ein erneuter iterativer Durchlauf der Schritte 3.1 - 3.6 notwendig.
Nach der Einführung des optimierten Prozesses wird die Prozessbewertung im Prozessverzeichnis durch den neuen (verbesserten) Wert ersetzt (KVP-Schritt „4. Aktualisierung Bewertung der Prozesse“, vgl. Abb. 2). Daraufhin wird der nächste KVP-Zyklus gestartet und der nächste Prozess identifiziert und optimiert.
Weitere Details zur Umsetzung eines Prozessmanagements im Krankenhaus finden Sie im White Paper von Better Healthcare, welches Sie über den beigefügten Link herunterladen können.
[1] Sofern der Top-Down-Ansatz im KVP-Schritt 1 („Bewertung der Prozesse“) gewählt wurde, liegt die Darstellung der IST-Situation bereits vor und kann hier entfallen.
[2] Die gängigsten Standards zur Modellierung von Prozessen sind die Unified Modeling Language (UML) und die Business Process Modeling Notation (BPMN).
Typische Fallstricke bei der Umsetzung eines Prozessmanagements
- Optimieren ohne Zielgröße/Bewertungsmaß: Oft wird versucht, einen Prozess „nach Bauchgefühl“ zu verbessern, ohne eine Zielgröße zu definieren. Die Ergebnisse sind dann nicht messbar und treffen zuweilen nicht das Problem.
- Unzureichendes Change-Management: Ziehen Sie alle beteiligten Berufsgruppen und ggf. den Datenschutz und Betriebsrat rechtzeitig und umfassend in die Maßnahme ein.
- Knappe Ressourcen: Die Etablierung des KVP und die Optimierung der einzelnen Prozesse sind jeweils singuläre, zeitlich begrenzte Projekte, für die auch krankenhaus-unspezifische Management-Skills benötigt werden. Ggf. kann ein interner Ressourcen-Engpass durch den Einsatz externer Dienstleister überbrückt werden.
- Krankenhaus-Erfahrung bei externen Beratern: Viele Beratungsunternehmen ohne originären Krankenhaus-Fokus greifen derzeit KHZG-Themen auf. Prüfen Sie im Detail, welche praktischen Krankenhaus-Erfahrungen jeweils vorhanden sind.
Autor:
Dr. Markus Ruppel, Managing Partner bei Better Healthcare (markus.ruppel@betterhealthcare.de) verfügt über mehr als 20 Jahre Berufserfahrung im Krankenhaus-IT-Geschäft und war für mehrere führende KIS-Hersteller und eine Strategieberatungsfirma tätig.
https://www.betterhealthcare.de/prozessmanagement