KI entschlüsselt Proteine zur Bekämpfung von COVID-19

KI

Veröffentlicht 30.10.2020 10:00, Kim Wehrs

Die fortschreitende Digitalisierung ermöglicht die Nutzung riesiger Datenmengen und kann Prozesse fundamental verändern. Schlüsseltechnologien, wie die Künstliche Intelligenz, eröffnen ein enorm breites Anwendungsfeld im Gesundheitswesen. Das Krankenhaus-IT Journal sprach mit Nicola Rieke, Senior Deep Learning Solution Architect bei NVIDIA.


Welche Chancen und Herausforderungen gibt es durch die Anwendung künstlicher Intelligenz,
insbesondere für Bereiche wie die medizinische Bildgebung?


Die medizinische Welt wird immer digitaler. Dadurch werden die Anwendungsmöglichkeiten von künstlicher Intelligenz (KI) sowie die daraus resultierenden Chancen immer vielfältiger. KI hat die Algorithmen der computer-gestützten Medizin regelrecht revolutioniert und ist mittlerweile als Technik für Forschungsarbeiten fest etabliert. Aber auch die Industrie hat das Potenzial von künstlicher Intelligenz erkannt. Einige neuartige, software-definierte Geräte in der medizinischen Bildgebung, wie zum Beispiel mobile Magnetresonanztomographen, die zum Patienten ans Bett gebracht werden können, würden ohne künstliche Intelligenz nicht funktionieren.

Künstliche Intelligenz bietet aber auch die Möglichkeit, direkt von medizinisch erhobenen Daten zu lernen und erleichtert dadurch nicht nur die Arbeit von Ärzten, sondern trägt auch dazu bei, medizinische Geräte schneller, hochauflösender und sicherer zu machen. So können zum Beispiel KI-gestützte Entscheidungshilfen bei der Quantifizierung des Krankheitsausmaßes helfen, potenzielle pathologischen Befunde in medizinischen Bildern hervorheben oder eine Vorhersage des Behandlungserfolgs liefern – und das in einer nie dagewesenen Geschwindigkeit. Dadurch kann der Arzt sich auf die Diagnose und die Erarbeitung eines Therapieplans konzentrieren.

Gleichzeitig liegt aber genau darin auch eine Herausforderung für den Einsatz von künstlicher Intelligenz: Die klinische Entscheidungsfindung hängt in hohem Maße von der Sammlung und Interpretation von medizinischen Hinweisen bzw. Daten ab. Um eine von KI bereitgestellte Information darin einfließen oder gar die Entscheidung treffen zu lassen, muss der Arzt zum einen die Technologie dahinter verstehen, KI entschlüsselt Proteine zur Bekämpfung von COVID-19 zum anderen muss die Information akkurat sowie verlässlich sein. Letzteres hängt maßgeblich davon ab, in welcher Menge und Qualität die medizinischen Daten zur Verfügung stehen. Wichtig ist vor allem, dass die medizinischen Daten im digitalen Format vorliegen. Nur dann kann eine KI davon lernen und die Entscheidungsfindung unterstützen.

Nicola Rieke; NVIDIA

Nicola Rieke, Senior Deep Learning Solutons Architect bei NVIDIA



Die Corona-Pandemie hat weltweit die Gesundheitssysteme auf eine harte Belastungsprobe gestellt. Welche Bedeutung hat Ihre Forschung am Coronavirus für den Alltag der Ärzte?

SARS-CoV-2 ist eine neuartige Krankheit, deren Diagnose und Behandlung in keinem Lehrbuch zu finden ist. In dieser Pandemie mussten wir alle dazulernen. Weltweit tragen viele großartige Teams dazu bei, das Virus zu bekämpfen, Patienten frühestmöglich zu behandeln und eine Überbelastung des Gesundheitssystems zu verhindern. KI bietet in diesem Zusammenhang den Vorteil, dass direkt anhand der generierten Daten gelernt werden kann, ohne vorher konkrete Modelle aufstellen zu müssen. Ein weiterer Vorteil: Durch die Veröffentlichung dieser Datensätze können auch Data Scientists und Forscher ohne medizinisches Hintergrundwissen an Modellen arbeiten, die durch den Einsatz von KI zur Erforschung der Krankheit beitragen. Aber auch außerhalb dieser Bereiche kann Rechenleistung im Kampf gegen Corona helfen: Zum Beispiel haben Gamer, andere Privatpersonen und Forschungsinstitute die Rechenressourcen ihrer Grafikprozessoren für die folding@home Initiative zur Verfügung gestellt. Dadurch ist es gelungen, das Virus zu simulieren und besser zu verstehen.

Auch verschiedene NVIDIA-Teams haben intern und in Kollaboration mit externen Partnern an Lösungen und Beiträgen gearbeitet. Unsere Technologie und Forschung haben dabei bereits auf verschiedenen Ebenen dazu beigetragen, das Virus besser zu verstehen. Zum Beispiel auf genomischer Ebene: Durch computergestützte Analysen haben NVIDIAForscher zusammen mit 13 Autoren von acht Instituten in sechs Ländern Gene, Proteine und biologische Prozesse in menschlichen Zellen entdeckt, die bei einer SARS-CoV-2-Infektion spezifisch verändert sind. Diese Erkenntnis könnte zur Entwicklung von Therapeutika zur Behandlung von COVID-19 führen.

Die Technologie und Forschung von NVIDIA hat aber auch auf Patientenebene bereits erste Erfolge verzeichnen können: NVIDIA-Forscher haben zusammen mit dem National Institutes of Health (NIH) ein KI-Modell für die schnelle Erkennung von COVID-19-Patienten anhand von CT-Daten entwickelt, welches kürzlich in Nature Communications publiziert wurde und über die NVIDIA CLARA-Plattform für jeden frei verfügbar ist. Dieses Klassifikationsmodell könnte in der Schnupfen- und Grippesaison im Herbst und Winter eine wichtige Anwendung finden, um COVID-19 von anderen viralen, bakteriellen oder durch Pilze erworbenen Lungenentzündungen zu unterscheiden. Der Ansatz unterliegt zurzeit der medizinischen Zulassung und wird noch nicht direkt am Patienten angewandt, ist aber ein wichtiger erster Schritt hin zur Bekämpfung des Virus. Andere Ansätze, wie die automatische Erkennung, ob Masken korrekt getragen werden, oder ob eine erhöhte Temperatur vorliegt, können mithilfe von KI und Lösungen wie NVIDIA
CLARA Guardian bereits jetzt für ein intelligentes Krankenhausmanagement genutzt werden.


Wo sehen Sie die Künstliche Intelligenz in 5 Jahren? Wie wird sich das Gesundheitswesen verändern?

Die Forschung rund um das Thema Künstliche Intelligenz macht enorme Fortschritte und hat bereits den Sprung zu industriellen Produkten – sowohl auf der Software- als auch auf der Hardware-Ebene – im medizinischen Bereich erfolgreich geschafft. Gleichzeitig schreitet die Digitalisierung im Gesundheitswesen voran, die es Ärzten ermöglicht, auf eine Vielzahl von Informationen zuzugreifen und Daten zu analysieren. Diese Informationsmengen werden in Zukunft signifikant zunehmen. Künstliche Intelligenz könnte sich dabei als verlässlicher Assistent für den Arzt von morgen erweisen. Sie kann zum Beispiel wichtige Informationen strukturieren und in kombinierter, verständlicher Form präsentieren und damit dem Informationsüberfluss entgegenwirken sowie unkritische Routine-Aufgaben des Arztes übernehmen, die im heutigen medizinischen Arbeitsablauf zeitraubend sind. Aber auch darüber hinaus kann KI einen wertvollen Beitrag in der Medizin leisten: Die Analyse großer Datenmengen hilft, neue Medikamente und Behandlungsformen zu entwickeln. Zudem lassen sich Arzt-Computer-Interaktionen durch KI-gestützte Sprachassistenten erleichtern. Und auch die Ausbildung von Ärzten könnte durch den Einsatz von
KI neu gestaltet werden, zum Beispiel durch KI-simulierte Trainingsumgebungen. Künstliche Intelligenz wird die Arbeit des Arztes aber nicht ersetzen.

Welche Hindernisse müssen überwunden werden und worin sehen Sie die größte Herausforderung?

Der Erfolg von künstlicher Intelligenz hängt maßgeblich von der Verfügbarkeit großer Datenmengen mit Annotationen für die jeweilige Aufgabenstellung sowie den Fortschritten im Hochleistungsrechnen ab. Heutzutage werden medizinische Daten zwar in großen Mengen im Gesundheitswesen erstellt und gespeichert, aber oft reichen die Datenmengen in einem einzelnen Institut nicht aus, um einen robusten KIAlgorithmus zu trainieren. Gleichzeitig können medizinische Daten nicht einfach ausgetauscht oder zusammengeführt werden, da die Daten sensibel sind und die Privatsphäre der Patienten geschützt werden muss. Einer der Ansätze, der diese Problematik adressiert, ist Federated Learning. Federated Learning ermöglicht das Zusammenarbeiten von mehreren Instituten an einem gemeinsamen KI-Modell, ohne dass die Patientendaten die einzelnen Institute verlassen. Das Modell wird iterativ innerhalb der jeweiligen Institute auf Basis der dort vorhandenen Daten trainiert. Das daraus gewonnene Wissen lässt sich dann von allen beteiligten Instituten nutzen und kombinieren. Eine weitere wichtige Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz von KI in der Medizin ist die Einbindung des medizinischen Personals in die Definition der Aufgabenstellung sowie die Modellentwicklung. Damit kann sichergestellt werden, dass die Technologie den medizinischen Arbeitsablauf verbessert und nicht verkompliziert. Eine der Schwierigkeiten dabei ist,  dass KI von Beispielen lernt und die Annotationen, die für die Modellentwicklungen in diesem sogenannten „supervised learning“ notwendig sind, vom Fachpersonal durchgeführt werden müssen. Die Erstellung des Datensatzes, von dem die KI lernen kann, ist dementsprechend zeitaufwändig und kostenintensiv. Eine weitere wichtige Forschungsrichtung ist deshalb das Lernen auf Basis unvollständiger oder spärlicher Annotationen sowie die synthetische Datenergänzung.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Potenzial von KI und die Fortschritte deutlich erkennbar sind. Wann sich jedoch diese Methoden im deutschen Gesundheitswesen etablieren, hängt auch davon ab, wie schnell die Digitalisierung fortschreitet.

Vielen Dank für das Gespräch.

Quelle: Krankenhaus-IT Journal, Oktober 2020
Foto: Adobe Stock / catalin


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