„Reibungslose Koordination von Versorgungskapazitäten“

Interview

Veröffentlicht 04.12.2020 10:20, Kim Wehrs

Um Krankenhäuser beim Entlass- und Überleitungsmanagement sowie bei der Krankenhausverlegung von Patienten zu unterstützen, hat das Berliner Start-Up Recare eine digitale Plattform entwickelt. Dadurch wird das Entlassmanagement effizienter gemacht, denn die Plattform gibt einen Überblick über freie Kapazitäten. Das Krankenhaus-IT Journal sprach mit Maximilian Greschke, Managing Director / Geschäftsführer (CEO), Recare Deutschland GmbH.

Welche Motivation steht hinter der Gründung Ihres Start-Ups?

M. Greschke: In den Gesundheitsbereich bin ich eigentlich nur reingestolpert. Davor habe ich bei Delivery Hero, der Plattform für Online-Essensbestellung, die mittlerweile im DAX notiert ist, gearbeitet und dort das Big Data Team aufgebaut. Über meine Frau, die Assistenzärztin in der Neurologie ist, und meine Schwiegermutter, welche damals Pflegedienstleitung bei einem ambulanten Pflegedienst in Berlin war, bin
ich dann über Umwege zu dem Thema Entlassmanagement gekommen. Zuerst sind wir angetreten, um die diversen logistischen Probleme um die Patientenüberleitung zu lösen und damit das Fachpersonal bei den Leistungserbringern zu entlasten. Mittlerweile haben wir aber gemerkt, wie viel es noch im Gesundheitswesen zu tun gibt - wir wollen helfen, die Koordination von Versorgungskapazitäten und alle damit zusammenhängenden Herausforderungen wie beispielsweise das Stellen von Anträgen komplett reibungslos abzuwickeln.

Wen wollen Sie erreichen?

Derzeit sind unsere Kunden primär Krankenhäuser, welche die Plattform im Rahmen des Entlassmanagements von Patienten nutzen. Die Anwender sind dann je nach eingesetztem Modul meist Sozialdienste, manchmal aber auch Pflegekräfte oder Ärzte. Mit der Krankenhaus-IT arbeiten wir in der Regel zusammen, wenn es um Schnittstellen zum Klinikinformationssystem geht.

Welche Hürden mussten Sie überwinden und welchen aktuellen Herausforderungen müssen Sie sich stellen?

Die größte Herausforderung ist und bleibt die sinnvolle Integration eines neuen digitalen Prozesses in die bestehende Kliniklandschaft. Das Krankenhaus ist ein prozessual extrem anspruchsvolles Umfeld - das Personal ist zeitlich immer an der Belastungsgrenze, hat wenig Zeit für Schulungen oder um sich in Ruhe mit Neuerungen zu befassen. Gleichzeitig lassen sich initial nur schwer optimale Bedingungen schaffen, da die Integration in die bestehende Datenlandschaft schwer ist - bei neuen Produkten lässt sich eine zumindest geringfügige Doppeleingabe selten vermeiden. Wir sind mittlerweile allerdings dort mit ein paar innovativen Herangehensweisen ganz gut aufgestellt. Eine weitere große Herausforderung ist und bleibt der föderale Datenschutz - die unterschiedlichen Bedingungen in verschiedenen Bundesländern was zum Beispiel Auftragsverarbeitung angeht, kosten viel Zeit, Energie und Geld.

Maximilian Greschke, Recare

Maximilian Greschke, Managing Director /
Geschäftsführer (CEO), Recare Deutschland GmbH,
(c) Jennifer Adler / Frau Rabe fotografiert

Wie sieht Ihr Geschäftsmodell angesichts der streng regulierten Finanzierung des Krankenhauswesens aus?

Krankenhäuser zahlen uns eine monatliche Software-as-a-Service Lizenzgebühr um die Plattform nutzen zu können. Die primäre Refinanzierung erfolgt über Optimierung der Verweildauer bei Patienten, welche durch eine verspätet angetretene Nachsorge sonst länger im Klinikum geblieben werden. Eine digitale Plattform ist dabei in sich selbst natürlich keine magische Wunderwaffe, aber ein sinnvoller Baustein im Gesamtkonzept um die notwendigen Plätze zu finden und vor allem Transparenz und Messbarkeit im Prozess herzustellen.

Das Thema Datenschutz und Datensicherheit ist gerade in jüngster Zeit wieder verstärkt in den Fokus gerückt. Wie werden Sie diesen Anforderungen gerecht?

Wir hatten das Privileg mit der Konzeption unseres Produkts zu beginnen, als die DSGVO bereits in aller Munde war. Dadurch konnten wir den Ansatz “Data privacy by design” wirklich leben und haben von Anfang an Datenschutz priorisiert. Je sensibler die Daten, desto höher die technischen Maßnahmen, welche wir zum Schutz ergriffen haben. Im Kern steht dabei unsere “Zero-Knowledge-Policy” - das heißt, wir
haben es uns zur Firmenpolitik gemacht, dass wir es uns selbst technisch unmöglich machen - selbst wenn wir es wollten, irgendwie Zugriff zu personenbezogenen Patientendaten zu erhalten, die das Krankenhaus als Intermediär angibt. Das erreichen wir zum Beispiel durch eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, über welche wir alle Daten, welche den Patienten direkt identifizieren können, absichern. Die Daten welche für das Matching mit einem Leistungserbringer benötigen - also zum Beispiel der Pflegegrad - liegen uns zwar vor, jedoch nie in Kombination mit Daten welche die Identifizierung eines Patienten direkt ermöglichen.

Worin unterscheiden Sie sich von Ihren Mitbewerbern?

Unser digitales Entlassmanagement verfügt über eine komplette Ende-zu-Ende Verschlüsselung, um personenbezogene Gesundheitsdaten zu übertragen. Das heißt, wir können wirklich auch Namen und Kontaktdaten nach der Buchung des Versorgungsplatzes übertragen - und damit das Fax auch wirklich abschaffen. Es ist leicht ein pseudonymisiertes Profil im Klartext an Pflegeeinrichtungen zu übertragen - das war für die meisten Plattformen auch der Einstiegspunkt - die Patientendaten in der anspruchsvollen IT-Landschaft mit oft veralteten Browsern wirklich sicher zu übertragen ist jedoch nicht trivial und erfordert eine hohe technische Expertise, die wir bei Recare haben. Wie sicher diese Technologie ist zeigen wir auch gerade im GKV Kontext - die ersten gesetzlichen Krankenkassen akzeptieren auf dieser Basis bestimmte Anträge als komplett strukturiertes Datenpaket. Recare hat nach außerdem das größte, aktive Netzwerk an Leistungserbringern, mit denen ein aktives Vertagsverhältnis besteht. Wir verbinden Krankenhäuser im pflegerischen Bereich allein mit etwa 12.500 aktiv registrierten Einrichtungen - etwa 40% aller Pflegeeinrichtungen, die es gibt. Einige Firmen in dem Bereich haben auch einfach diverse Verzeichnisse im Internet ausgelesen und schicken dann Anfragen an Einrichtungen, die sich nie registriert haben mit der Behauptung einer hohen Marktabdeckung. Wir haben uns aus Gründen der Seriosität dagegen entschieden und arbeiten im Rahmen der autonomen Platzsuche ausschließlich mit Einrichtungen, die aktiv bei uns registriert sind. Wenn in einer Region noch Registrierungsbedarf besteht, dann übernehmen wir das als Serviceleistung für das Krankenhaus. Außerdem haben wir mit großartigen Partnern Möglichkeiten gefunden, uns wirklich gut und zu geringen Kosten in das Klinikinformationssystem zu integrieren und einen strukturierten Datenaustausch zu ermöglichen und damit den Prozess für Anwender wirklich rund zu machen.

Welches ist Ihre bisher größte success story?

Für mich persönlich ist es der Start der Zusammenarbeit mit gesetzlichen Krankenversicherungen um den Antrag auf eine Anschlussheilbehandlung komplett papierlos und digital zu übertragen. Das ist für uns der Startschuss gewesen, Kostenträger tiefer in unsere Plattform zu integrieren - und ich kann versprechen, dass in der Richtung noch viel mehr spannende Themen in den nächsten Monaten kommen. Sehr stolz sind wir aber auch auf den guten Start in den französischen Markt, wo wir bereits mit einigen renommierten Krankenhäusern in Paris zusammenarbeiten.

Wo sehen Sie sich in 5 Jahren?

In 5 Jahren soll es möglich sein über Recare jede Art von Versorgung bundesweit zu finden und komplett digital zu koordinieren - egal aus welchem Kontext und mit allen Nebenthemen drum herum (Anträge, Finanzierung usw.). Außerdem wollen wir das Thema Internationalisierung weiter vorantreiben und der unangefochtene Marktführer im gesamten europäischen Raum werden. Es gibt also noch viel zu tun.

Vielen Dank für das Gespräch.

Quelle: Krankenhaus-IT Journal, Oktober 2020
Foto: Adobe Stock / AntonioDiaz


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