Smarte Impulse für digitale Innovationssprünge in Krankenhäusern

SMART

Veröffentlicht 15.11.2021 22:30, Dagmar Finlayson

Mit der Digitalisierung steht die Medizin vor Innovationssprüngen, die in vielfältiger Weise auch die Krankenhäuser betreffen. Das „Smart Hospital Excellence Forum 2021“ im Oktober 2021 spiegelte wesentliche Handlungsfelder für die Modernisierung der Gesundheitswirtschaft wider.  Optimierungspotenzial bei der Digitalisierung ist vorhanden, zu erschließen und zu nutzen. Verantwortliche sind mehr denn je gefragt, Herausforderungen anzunehmen und gewinnbringend für ihre Häuser umzusetzen. Über das Was und Wie gaben Experten smarte Impulse und praktische Handlungsempfehlungen. Kongressleiter war Prof. Dr. David Matusiewicz, Professor für Medizinmanagement, Direktor des Forschungsinstituts für Gesundheit & Soziales, FOM Hochschule & Founder - Digital Health Academy.

Digitalisierung benötigt die passenden Rahmenbedingungen, um ihre volle Kraft zu entfalten. Für die Ebene der Krankenhäuser bedeutet dies, dass die zugrundeliegenden Abläufe und Strukturen analysiert und in der Folge optimiert werden müssen. „Schlechte analoge Prozesse bleiben auch schlecht, wenn man sie digitalisiert“, postulierte Prof. Dr. med. Jochen A. Werner, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender im Universitätsklinikum Essen.
Er ist Protagonist des „Smart Hospitals“ in Essen. Diese Qualitätsmarke ist sowohl auf Klinik- als auch auf volkswirtschaftlicher Ebene die Blaupause für eine innovative, digitalisierte, und zukunftsfähige Medizin, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und dauerhaft den Zugang zu umfassender medizinischer Versorgung ebenso wie valide Gesundheits- und Krankheitsinformationen gewährleistet. Hier zeigt sich: Digitalisierung, Patienten- und Mitarbeitererleben sind keine Gegensätze, sondern gehören untrennbar zusammen. Prof. Werner betonte: „Der Start ist gebunden an die Bereitschaft der Mitarbeiter bei digitaler Transformation mitzuwirken. Dazu gehören verstärkte Information und Aufklärung intern wie extern. Hier lohnt es sich zu investieren.“
Digitalisierung ist indes kein Allheilmittel gegen ineffiziente klinische Abläufe, sondern erfordert eine gute prozessuale Grundlage. „Auf gesundheitspolitischer Ebene brauchen wir zukunftsfähige Strukturen, um mittels Digitalisierung die großen demografischen und finanziellen Herausforderungen zu meistern.“ Dazu gehören, wie Werner betonte, der überfällige Breitbandausbau, ebenso eine grundlegende Neuordnung zum vernetzten Gesundheitswesen einschließlich der bereits vor der Pandemie eingeleiteten Konsolidierung der Kliniklandschaft. Auch Telemedizin gehöre deutlich stärker als bisher in den Fokus. „Digitalisierung im Gesundheitswesen ist kein Selbstzweck, sie muss ausbalanciert sein und ergänzt werden durch menschliche Nähe.“ Dann könne sie dazu beitragen, Ärzte und Pflegekräfte wieder patientennah einzusetzen und den Menschen wieder verstärkt in den Fokus der Behandlung zu stellen, meinte Werner. (Hören Sie dazu das Interview mit Prof. Werner.)

Prof. Dr. med. Jochen A. Werner, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender im Universitätsklinikum Essen

Radikale Technologien für den Gesundheitssektor

„Künstliche Intelligenz kann uns zu gesünderen Menschen machen,“ meinte Dr. Stefan Ebener, Head of Customer Engineering, Google Cloud. „Dazu sind Potentiale radikaler Technologien für den Gesundheitssektor zu heben, die Regulatorik zu verändern und Verständnis zu schaffen.“
Healthcare Providers müssten alle Bereiche in der Organisation durch die Cloud-Technologie transformieren. Das betrifft Daten-Interoperabilität, Patientenwohl oder auch Behandlung. Das Ökosystem demokratisiert die Healthcare-Information. Nicht allein die Technik, sondern das Mindset treibt die „Healthcare Digital Transformation Journey“ an. Es geht um medizinische Vorsorge, die es durch patienten- und datengetriebene Digitalisierung in einem Empfehlungssystem wie Google zu unterstützen gilt. Ebener: „Der Fokus liegt auf der Lösung, nicht auf dem Problem.“ (Hören Sie dazu das Interview mit Dr. Stefan Ebener.)

Dr. Stefan Ebener, Head of Customer Engineering, Google Cloud


Zu Digitalen Kompetenzen und den Menschen hinter der digitalen Transformation gab Jana Aulenkamp, Ärztin und Autorin zu bedenken: Es fehle Wissen und mangele an Vertrauen des medizinischen Personals, eine Integration von Innovationen in den klinischen Alltag sei erschwert. “Digitaler Kompetenzaufbau darf nicht als Nebenprodukt einer fachlichen  Wissensvermittlung erwartet werden, sondern braucht die gezielte und  systematische Verankerung in Curricula.” Mit Blick auf Digital-Lösungen meinte sie, erst dann erzeugten sie wirklich Nutzen, wenn sie untereinander verknüpfbar seien und sich ergänzten. „Wenn ich als Patient bald für jede Erkrankung eine App habe, diese sich jedoch nicht untereinander austauschen und mir die Benutzung vereinfachen, wird die Benutzung und auch der Nutzen begrenzt.“ Firmen und die Politik müssten daher in Schnittstellen und gemeinsame, unternehmensübergreifende Ansatzpunkte investieren, auch wenn das gegen das Verständnis einiger Firmen gehe. (Hören Sie dazu das Interview mit Jana Aulenkamp.)

Jana Aulenkamp, Ärztin und Autorin


Prof. Dr. Sylvia Thun, Direktorin für Digitale Medizin und Interoperabilität Charite, griff den Gedanken auf. Sie beschäftigt das Thema Interoperabilität im Gesundheitswesen schon lange und ganz aktuell als Leiterin des Konsortiums „DigitalRadar“. Anliegen ist die Evaluierung des Reifegrads der Krankenhäuser hinsichtlich der Digitalisierung nach § 14b KHG. Mit der kürzlich in Kraft getretenen Gesundheits-IT-Interoperabilitäts-Governance-Verordnung (GIGV) möchte das Bundesgesundheitsministerium Strukturen etablieren, die interoperable IT-Systeme sicherstellen. Das KIS oder die Telematikinfrastruktur werden an FHIR angebunden und sollen sich in Zukunft mit allen Daten aus anderen Anwendungen vernetzen können. Das Krankenhauszukunftsgesetz KHZG bestimmt den Einsatz von international anerkannten, syntaktischen und semantischen Interoperabilitätsstandards, wie sie auf FHIR zu treffen. Das macht den Standard zu einem der wichtigsten für die modernen Interoperabilität. „Krankenhäuser müssen ihre Systeme erweitern und darauf achten, dass dort die internationalen Standards - FHIR, IHE und SNOMED - genutzt werden und keine proprietären Schnittstellen und Terminologien, die nicht in der Strategie der Bundesregierung und EU vorgesehen sind.“

Prof. Dr. Sylvia Thun, Direktorin für Digitale Medizin und Interoperabilität Charite

Rollen, Beziehungen und Verantwortlichkeiten

Wenn der Artificial Intelligence (AI)-Algorithmus einen Fehler macht, wer haftet bei Anwendung der KI im Gesundheitswesen bzw. am Patienten? Wer ist Haftungssubjekt? KI? Hersteller? Arzt bzw. Krankenhaus? Prof. Dr. Alexandra Jorzig, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht, Professorin für Gesundheitsrecht, bei Jorzig Rechtsanwälte, wies in einer Keynote auf eine Haftungsfalle bei der Künstlichen Intelligenz (KI) als Black Box hin. Derzeit reiche das Haftungssystem für im Einsatz befindliche „schwache“ KI noch aus. Künftig ist die zunehmende Etablierung von „starker“ KI zu erwarten. Dann sind neue rechtliche Grundlagen zu schaffen.
Haftungsfragen mit Blick auf Arzt als Anwender sowie Hersteller sind teilweise offen. Anzustreben sei jedenfalls eine interessengerechte Haftungsverteilung. (Hören Sie dazu das Interview mit Prof. Jorzig.)

Prof. Dr. Alexandra Jorzig, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht, Professorin für Gesundheitsrecht, bei Jorzig Rechtsanwälte


Offen ist auch die Digitalisierung von Pflegeprozessen, wie Prof. Dr. Martina Hasseler, Professorin Klinische Pflege, Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, mit den Teilnehmern diskutierte. Technologie soll den steigenden Mangel an Pflegepersonal kompensieren und entlasten. Diese Perspektive geht mit einer zunehmenden Diskussion über Pflegeinformatik und erweiterten Wertschöpfungsketten einher. „Wir müssen zunächst professionelle Pflege und Pflegeprozess sowie den Mehrwert fachlicher Pflege an Versorgungsprozessen verstehen,“ betonte Prof. Hasseler. Dann sei zu eruieren, wie Digitalisierung in der Pflege den Pflegeprozess sinnvoll und bedarfsangemessen unterstützten könne. Sie verwies auf die Gefahr, durch Digitalisierung Arbeitsprozesse zu formalisieren, wobei Kommunikationserfordernisse und Vermittlungsbedarfe im Kontext der Techniknutzung erforderlich seien.
Allerdings sollten Pflegeberufe nicht nur als passive Rezipienten einer digitalen Technologie verstanden werden. „Hierbei müssen Rollen, Beziehungen und Verantwortlichkeiten aller Berufs- und Personengruppen, die an der Pflege beteiligt sind, integriert werden.“ Eine der Grundlagen dazu ist eine standardisierte Pflegeterminologie. (Hören Sie dazu das Interview mit Prof. Dr. Martina Hasseler)

Digitalisierung und Nachhaltigkeit

„Digitalisierung und Nachhaltigkeit“ sind für Prof. Dr. Stefan Heinemann generell Kernpunkte. Der Professor für Wirtschaftsethik an der FOM Hochschule sowie Sprecher der Ethik-Ellipse Smart Hospital der Universitätsmedizin Essen fokussierte auf die ökonomische und ethische Perspektive der digitalen Medizin und Gesundheitswirtschaft. „Die digitale Transformation nehme ich als historische Chance wahr, eine bessere Medizin für alle verfügbar und wirtschaftlich machbar und attraktiv für legitime business models zu gestalten. Noch, und auch und gerade aus Europa und Deutschland heraus. Eine Ethik der digitalen Medizin und Gesundheitswirtschaft sei gut beraten, weder auf Alarmismus noch auf Technikeuphorie zu setzten; sondern auf eine balancierte, vernünftige Mitte, die digitale Technologien nutzt im Sinne der Patientinnen und Patienten sowie der professionellen Systemakteure. Er postulierte: „Gesundheitsdatensouveränität ist eine Kernkompetenz des Jahrhunderts.“ (Hören Sie hier das Interview mit Prof. Dr. Stefan Heinemann.)

Prof. Dr. Stefan Heinemann,Wirtschaftsethik an der FOM Hochschule


Künstliche Intelligenz und den möglichen Untergang des Radiologen hinterfragte Dr. Thomas Görlitz, selbst Oberarzt in der Radiologie, Facharzt für diagnostische Radiologie, SRH Kliniken, kritisch. „Unterstützung durch KI ja, Ersetzen durch KI nein,“ bilanzierte er. Die Radiologie werde nicht abgeschafft, bekomme mehr Werkzeuge in die Hand, deren Aussagen spezifischer und sensitiver werden. Fehler würden aber schwieriger abzuschätzen und abzufangen sein. „Je Komplexer die Muster, desto höher die mögliche Fehlerrate - von Mensch undMaschine.“  Datenkonsistenz und -sicherheit würden noch wichtiger werden. „Wir müssen Herr der uns anvertrauten Daten bleiben, und wir müssen die Systeme und deren Schwachstellen verstehen, nicht nur sie uns.“ (Hören Sie dazu das Interview mit Dr. Thomas Görlitz.)

Dr. Thomas Görlitz, selbst Oberarzt in der Radiologie, Facharzt für diagnostische Radiologie, SRH Kliniken

Excellence-Forum als Mutmacher

Das Programm des Excellence Forums bot intensiven Austausch mit renommierten Experten über aktuelle Entwicklungen, Forschungen und Innovationen der Digitalisierung. Im Fokus standen Themen wie Prozessoptimierungen und Kosteneinsparungen im Krankenhaus mit digitalen Strategien, Interoperabilität im Krankenhaus sowie Vorteile der Digitalisierung im Krankenhaus für Patienten und Mitarbeiter. Zu den Kernpunkten zählten Chancen und Risiken in der Medizin durch Big Data und Künstliche Intelligenz KI, automatische Dokumentation von Pflegeprozessen sowie Datenschutz und Ethik in der Medizin. Den Verantwortlichen aus Krankenhäusern auf dem Excellence-Forum gab Prof. Werner mit: „Mut und Entschlossenheit sind die unverzichtbaren Grundtugenden, um Dinge zu verändern. Insofern möchte ich an alle Verantwortlichen appellieren, über den eigenen Schatten zu springen, Denk- und Handlungsmuster aufzubrechen und neue Wege zu gehen. Ich bin davon überzeugt, dass letztlich nur die mutigen, innovativen Krankenhäuser von den großen Chancen der Digitalisierung in vollem Umfang profitieren werden.“

Bei dem „Excellence-Forum 2021“ konnten die Akteure für die Krankenhausverantwortlichen die praxisrelevanten neuen Chancen und umsetzbare Impulse der digitalen Gesundheit herausarbeiten. Hier wartet noch Arbeit. „Das Problem ist nicht, dass bislang irgendwelche Deadlines bei Projekten rund um die digitale Medizin nicht gehalten wurden, das eigentlich Problem sind die bislang überhaupt nicht angefangenen Digital-Projekte (die natura auch keine Deadlines haben),“ betonte Kongressleiter Prof. Dr. David Matusiewicz, Professor für Medizinmanagement, Direktor des Forschungsinstituts für Gesundheit & Soziales, FOM Hochschule & Founder - Digital Health Academy. (Hören Sie dazu das Interview mit Prof. Matusiewicz.)

Kongressleiter Prof. Dr. David Matusiewicz, Professor für Medizinmanagement

Das Mindset der Teilnehmer sollte sich in dem Forum weiter schärfen können. Dazu trugen Vortragsformate und Beteiligungsmöglichkeiten bei wie interaktive Round Tables, spannende Keynotes, aufschlussreiche Best-Practice-Cases, Workshops und kontroverse Diskussionen sowie Vier-Augen-Gespräche mit Lösungsanbietern. Veranstalter war Smart Bridges, ein unabhängiger Veranstaltungsdienstleister, der sich auf Vernetzung und den Wissensaustausch von Fach- und Führungskräften sowie auf das Vermitteln neuer Geschäftspartner spezialisiert hat. Das nächste „Smart Hospital Excellence Forum“ findet im 21. und 22. März 2022 in Frankfurt/Main statt.



Themen und Referenten des Forums

Aktueller Überblick zum Smart Hospital
Prof. Dr. Jochen Werner, Medizinischer Direktor, Universitätsklinikum Essen
Prof. Dr. David Matusiewicz, Professor für Medizinmanagement, Direktor des Forschungsinstituts für Gesundheit & Soziales, FOM Hochschule & Founder - Digital Health Academy

Kann uns Künstliche Intelligenz zu gesünderen Menschen machen? Potentiale radikaler Technologien für den Gesundheitssektor
Dr. Stefan Ebener, Head of Customer Engineering, Google Cloud

Vision. Strategie. Umsetzung – Digitalisierung im AGAPLESION Verbund
Claudia Möller, Leiterin Zentraler Dienst FuE & Innovationsmanagement, Agaplesion gAG

KHZG und Interoperabilität
Prof. Dr. Sylvia Thun, Direktorin Core Facility Digitale Medizin und Interoperabilität, Universitätsmedizin Berlin

Wer haftet bei Anwendung der KI im Gesundheitswesen bzw. am Patienten?
Prof. Dr. Alexandra Jorzig, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht, Professorin für Gesundheitsrecht, JORZIG Rechtsanwälte

Smart Ethics – Ethische Dimensionen der Zukunftsmedizin
Prof. Dr. Stefan Heinemann, Ethik der digitalen Medizin und Gesundheitswirtschaft, FOM Hochschule/Universitätsmedizin Essen

Digitalisierung von Pflegeprozessen
Prof. Dr. Martina Hasseler, Professorin Klinische Pflege, Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften

Digitale Kompetenzen – Die Menschen hinter der digitalen Transformation
Jana Aulenkamp, Ärztin, Co-Founderin, Autorin

Blick über den Tellerrand – Das Smart Hospital in Dänemark am Beispiel des Universitätskrankenhauses in Aarhus
Lars Ganzhorn Knudsen, Chief Executive Consultant, Aarhus University Hospital, Denmark;
Prof. Dr. Wolfgang Deiters, Professor für Gesundheitstechnologien, Hochschule für Gesundheit, Bochum

Der Untergang des Radiologen!? – Wenn Radiologie auf Künstliche Intelligenz trifft
Dr. Thomas Görlitz, Oberarzt Radiologe, Facharzt für diagnostische Radiologie, SRH Kliniken


von Wolf-Dietrich Lorenz


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