Krankenhaus-Digitalisierung: Management und IT als Partner

Interview

Veröffentlicht 05.08.2022 12:00, Kim Wehrs

Das Dilemma: Die IT ist existentiell notwendig für den Krankenhausbetrieb. Aber sie kostet viel Geld und braucht eigentlich immer mehr... Hieraus resultiert ein oftmals zwiespältiges Verhältnis zwischenManagement und IT-Verantwortlichen. Zwei Insider erörtern Herausforderungen der Digitalisierung,betrachten den Brückenschlag bei Bruchstellen und setzen sich mit Anforderungen und Ansprüchenvon IT und Management auseinander. Im Gespräch mit dem Krankenhaus IT-Journal sind Gunther Nolte, Ex-CIO Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH, und Helmut Schlegel, Ex-CIO eines kommunalen Großklinikums.

Wie sollte das Krankenhausmanagement die Herausforderungen des Wandels bei der Digitalisierung hauptsächlich unterstützen und vorantreiben?

Gunter Nolte: Die Herausforderungen, die durch die Digitalisierungsentwicklung entstehen, fokussieren sich im Kern auf drei Perspektiven. Zum einen auf die neue Rolle und die Partizipation des Patienten:in in einem zunehmend digital-föderalen Gesundheitswesen, durch zu erwartende Änderungen im prozessualen und organisatorischen Geschehen auf das gesamte Thema Fachkräfte, Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitsselbstverständnis der Mitarbeiter inklusive notwendigem Change-Management und natürlich aus Sicht des Unternehmens auf die ökonomische Sicherung und Gestaltung. Kurzfristige monetäre Entscheidungen alleine reichen dabei nicht aus, den anstehenden digitalen Kulturwandel zu meistern. Vielmehr geht es darum, eine langfristige Digitalisierungsstrategie zu entwickeln, die daraus abzuleitenden
strukturellen, organisatorischen, prozessualen, lösungsprodukttechnischen und kulturellen Entscheidungen zu treffen, dann die Umsetzung zu operationalisieren und kontinuierlich, nachhaltig und zielgrößenadjustiert zu steuern.

Helmut Schlegel: Das Krankenhausmanagement sollte nicht dem Irrglauben unterliegen, dass der Weg einer sinnvollen Digitalisierungsstrategie über Förderanreize (wie z.B. dem KHZG), regulativen Vorgaben und Vorgaben der Selbstverwaltung aufgezeigt wird. Diese sind vielfach mit kurzfristigen Zielen verbunden - damit soll aber nicht das KHZG gemeint sein -, die nicht immer der Ökonomie des Krankenhaus-betriebs förderlich sind. Man könnte als erschreckendes Beispiel die Planung und öfters modifizierte Telematikinfrastruktur TI herannehmen, deren Ursprung in 2006 datiert.

Mit Unsummen an Ressourcen und Finanzmitteln ausgestattet, dümpelt sie immer noch vor sich hin, basiert auf einer veralteten Architektur und findet bei vielen Stakeholdern und Patienten kaum Akzeptanz.
Das Krankenhausmanagement muss eine eigene Digitalisierungs-Strategie und Roadmap mit der IT unter Mitwirkung der internen Stakeholder entwickeln, die wichtig zu digitalisierende Prozesse nach Kriterien (Qualität des Outcomes, Prozessperformanz, Ressourcenoptimierung usw.) festlegt und diese dann in einem Umsetzungsplan, versehen mit Budget und vor allem auch fachlich kompetenten IT- und Organisationspersonal, angeht.

Wie lassen sich bei der IT-Transformation die Bruchstellen zwischen Management und IT in Krankenhäusern überbrücken?

Gunter Nolte: Entscheidend ist zunächst einmal, ein zwischen IT und Management gemeinsames Zielbild des anstehenden digitalen Transformationsprozesses zu entwickeln, welches dann gemeinsam getragen im gesamten Unternehmen zu vermitteln ist. IT und Digitalisierung müssen seitens des Managements als kritisches Unternehmens-Asset verstanden werden. Zwischen IT und Management muss die oftmals bestehende „Kosten und Ressourcenkontroverse“ gelöst werden. Dies bedeutet, IT muss die bestehenden wirtschaftlichen Zwänge und die Forderung nach Wirtschaftlichkeit der umzusetzenden Maßnahmen und Projekte ebenso akzeptieren und verinnerlichen wie das Management die Notwendigkeit verstehen muss, dass digitale Entwicklung Geld kostet und Personal braucht. Zeitvorstellungen müssen sich unter der Prämisse des sportlichen Ehrgeizes aber auch immer an dem realistisch Machbaren orientieren. Letztlich geht es auch um Vertrauen und Respekt und das Anerkennen der Kompetenz, der Autorität und der Qualifikation der jeweiligen Rollen untereinander.

Helmut Schlegel: Wenn man davon ausgeht, dass der Chief Information Officer CIO (oder auch IT-Leiter) in vielen Krankenhäusern indirekt als Chief Digital Officer CDO agiert und dafür auch die fachliche Kompetenz besitzt, den Prozess in den Vordergrund stellt und das Management nicht nur auf Berater hört, ergibt sich vielmehr die Frage, wie schaffen es Beide, das Personal in den Abteilungen (Kliniken, Instituten usw.) mitzunehmen? Wie werden Aufwandsverschiebungen, denken wir z.B. an die Digitalisierung der Anforderung radiologischer Leistungen, „verkauft“? Wie schaffen es Beide, qualifiziertes Personal für die IT-Transformation, besser wäre der Begriff der Prozesstransformation (Process Re-Design), in IT-Organisation und Projektleitung zu finden und auch zu halten? Und alle sollten hoffen, dass nicht wieder mit unrealistisch kurzer Umsetzungszeit gesetzliche Vorgaben kommen, die jegliche andere Planung in den Hintergrund rücken lassen.

Was erwartet das Krankenhausmanagement von der IT-Leitung?

Gunter Nolte: Hoffentlich nicht nur IT-Kosten einzusparen, schneller zu sein als der Blitz und sofort die patentierte Lösung in der Tasche zu haben, die alle Berufsgruppen, Unternehmensgremien und Mitarbeiter glücklich macht. Das Management kann von der IT und muss von der ITerwarten, dass sich dort ökonomischer Sachverstand mit hoher fachlicher technisch-organisatorisch-prozessualer Qualifikation trifft und mit strategisch-taktischen Sichtweisen symbiotisch ergänzt. Dazu tritt hinzu, dass sich eine gute Kommunikations- und Präsentationskultur entwickelt, die in der Lage ist, komplexe Sachverhalte verständlich nachvollziehbar zu erläutern, Menschen begeistern kann und gleichzeitig aber auch beratend wirkend und Einfluss nehmen kann.

Helmut Schlegel: Ketzerisch: zaubern ohne Zauberstab (Budget, qualifiziertes Personal, fehlende Lösungen auf dem Markt, fehlenden Standards für die Nachhaltigkeit und/oder fehlende Interoperabilitätsstrecken)! Konstruktiv: Der IT-Leiter, selten mit den Kompetenzen eines CIO versehen, muss sich mehr als CDO verstehen und damit von Hardware und Netzen (Blech und Kabel) weg hin zu Prozessen kommen und deren Notwendigkeit des Re-Design zur Nutzung digitaler übergreifender Workflows, sowohl intern als auch extern, verfolgen.

Welche notwendigen Maßnahmen für eine partnerschaftliche Digitalisierung können IT-Abteilungen und Führungszirkel gemeinsam treffen?

Gunter Nolte: Gemeinsame Zielbilder entwickelvn, gegenseitiges Vertrauen schaffen, im permanenten Kontakt bleiben, an der Realität orientierte Möglichkeiten entwickeln, Priorisierungen festlegen, Transparenz schaffen, durch Verlässlichkeit überzeugen, das gegebene Wort halten, Qualität abliefern.

Helmut Schlegel: Wenn man den Begriff „Führungszirkel“ so auslegt, dass auch die Kliniken, Institute und Abteilungen durch Vertreter repräsentiert sind (und das müssen nicht immer Chefärzte sein), dann sollte die Roadmap zur Umsetzung der Strategie auf den Weg gebracht werden. Die Einrichtung eines Digitalisierungsausschusses mit IT und eventuell, wenn eigenständig vorhanden, der Org.-Abteilung, der Klinikleitung und repräsentativen Vertretern der Stakeholder ist dringlich zu bewerkstelligen. Dessen Aufgabe ist es, die entwickelte Strategie mit einer realistischen Roadmap zu versehen und deren Umsetzung zu steuern.

Wie weit kann das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) als Katalysator den Weg zur Digitalisierung bereiten?

Gunter Nolte: Das KHZG stellt nicht nur hohe Summen bereit, sondern adressiert in den Förderrichtlinien auch im Großen und Ganzen die richtigen inhaltlichen Themen und setzt zum Beispiel für den Einsatz von Standards und für die Verbesserung der IT-Sicherheit die richtigen Rahmenbedingungen. Insofern hat das KHZG die Qualität und die Substanz, tatsächlich die Digitalisierung zu boostern. Hinderlich, wie in Deutschland üblich, ist die administrativ-bürokratische Umsetzung des gesamten Bewilligungsprozesses. Der zeitliche Verzug ist heute schon offensichtlich. Wie heißt es doch so schön: „Geld allein macht nicht glücklich“. Auch sehen wir bereits, dass weder in den Krankenhäusern, noch bei der Industrie und auch nicht in der Berufsgruppe der Berater die notwendigen Ressourcen für eine zeitgerechte Umsetzung aller Anträge zur Verfügung stehen. Für die Krankenhäuser bleibt natürlich die Frage, was nach Ablauf des Förderzeitraumes passiert und wie die Nachhaltigkeit, gerade auch finanziell, sichergestellt werden kann. Insofern, ja der Katalysator ist da, ob er auch wie vorgesehen zündet, das wird richtig spannend, weiter zu beobachten.

Helmut Schlegel: Das KHZG kann durchaus als ein Initiator für die Priorisierung der Digitalisierung gesehen werden. Zur Digitalisierung ist aber noch ein langer Weg zurück zu legen. Für diesen Weg braucht das Krankenhaus und damit die IT ausreichende Budgets, die vor allem auch die damit verbundenen gesteigerten laufenden Kosten berücksichtigen. Um den Weg erfolgreich bestreiten zu können, müssen die Arbeitsplätze in der Klinik-IT auch für den Markt interessant werden, sowohl von der Honorierung als auch vom Image her. Ebenfalls muss die Industrie gezwungen werden, offene Standards, sowohl in der Interoperabilität als auch in der transparenten Datenspeicherung, zu bieten. Die Krankenhausleitung muss sich für eine von zwei Alternativen entscheiden: Begebe ich mich in die Abhängigkeit von Dritten (Beratern, SW-Lieferanten usw.) oder entscheide ich mich, mit eigenem Personal in den Kernbereichen der IT möglichst wenig Abhängigkeiten einzugehen?

Wenn als Folge des KHZG viele Häuser eine eigene Digitalisierungsstrategie (IT-Strategie für Prozessunterstützung) mit einer Roadmap aufsetzen, dann war das KHZG ein guter Katalysator!


Quelle: Krankenhaus-IT Journal, Juni-Ausgabe 03/2022
Foto: Adobe Stock / Urupong


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