Die Tage für die SAP-Branchenlösung Patientenmanagement (IS-H) sind gezählt. Eine Nachfolgelösung für SAP S/4HANA wird SAP nicht anbieten. Stattdessen sollen Krankenhäuser und Kliniken für die Patientenverwaltung und -abrechnung auf Krankenhausinformationssysteme (KIS) anderer Software-Hersteller setzen und Schnittstellen wie FHIR sowie die SAP Business Technology Platform (BTP) zum Einsatz kommen. Aus Sicht der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG) ist das jedoch nur bedingt möglich – und was in der Theorie so einfach klingt, ist in der Praxis mit Herausforderungen verbunden bzw. fast unmöglich aufgrund fehlender Interoperabilität.
Der Wettbewerb hat angezogen und inzwischen haben sich zehn Anbieter mit IS-H-Nachfolgelösungen präsentiert, die seit diesem Jahr auch Pilotprojekte begleiten. „Dennoch bleiben Zeitdruck und Umsetzungsaufwand groß. Viele Häuser sind mit wichtigen Projekten wie ihrer S/4HANA-Transformation, der Umsetzung des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) und der Modernisierung ihrer Telematik-Infrastruktur bereits personell und finanziell am Limit“, sagt Michael Pfeil, DSAG-Arbeitskreissprecher Healthcare. Gleichzeitig naht das Ende der SAP IS-H Standardwartung Ende 2027 – und die danach mögliche kostenpflichtige Extended Maintenance bis 2030 sowie die anschließende kundenspezifische Wartung lassen die Kosten explodieren.
Fehlende Roadmaps
„Zwar ist die Perspektive für Krankenhäuser und Kliniken klarer als noch vor zwei Jahren und es gibt Lösungen, aber: Hoher Zeitdruck, enorme Kosten, Personalengpässe, die Abhängigkeit von Partnern mit Healthcare-Expertise wie auch die fehlende Interoperabilität großer Hersteller sorgen dafür, dass wir beunruhigt in die Zukunft blicken“, so Pfeil. Denn: Die Dienstleister mit dem nötigen Know-how sind rar gesät und Projekte können sich verzögern. Gleichzeitig herrschen noch immer Fragezeichen, ob alternative KIS-Systeme wirklich die vollständige IS-H-Welt abdecken können. Zwar gibt es seit diesem Jahr bereits erste Prototypen am Markt und einige Hersteller haben den Rollout für Herbst dieses Jahres angekündigt, doch oftmals fehlen noch verlässliche Roadmaps oder die Funktionalität ist nicht vollständig gegeben.
„Wenig hilfreich ist vor diesem Hintergrund auch, dass zentrale Anbieter die Anbindung von Abrechnungslösungen anderer Hersteller nicht unterstützen. Dadurch entsteht eine erhebliche Bedrohung für die Interoperabilität, Marktvielfalt und die wirtschaftliche Tragfähigkeit der IT-Strategien von Krankenhäusern“, erläutert Pfeil. Durch die fehlende Anbindungsmöglichkeit alternativer Abrechnungssysteme verlieren Krankenhäuser die Flexibilität bei der Gestaltung ihrer IT-Landschaft. Einrichtungen müssen somit komplette KIS neu einführen oder die Lösungen für Patientenabrechnung und -administration der bestehenden KIS-Hersteller integrieren. „Die KIS-Hersteller nehmen die Bedarfe der Branche nicht ernst und treiben sie in teure und langfristig riskante Abhängigkeiten“, warnt der DSAG-Arbeitskreissprecher Healthcare.
Auswahlkriterien für Nachfolgelösung
Trotzdem dürfen Krankenhäuser und Kliniken jetzt nicht länger untätig sein. Vielmehr sollten sie sich gründlich mit der Auswahl einer passenden IS-H-Nachfolgelösung befassen.
Folgende Kriterien sind dazu aus DSAG-Sicht zu beachten:
- Vollständige funktionale Abdeckung – Patientenadministration und -abrechnung auf S/4HANA verfügbar, inklusive Landesspezifika.
- Nahtlose Integration – über APIs & FHIR-Schnittstellen zum bestehenden KIS oder i.s.h.med und Drittsoftware.
- Datenmigration & Anpassbarkeit – bestehende Customizing-Erweiterungen, Plug-ins und Datenmodelle müssen übertragbar sein.
- Zukunftsfähigkeit & Betriebskonzepte – On-Premises oder Cloud-Optionen, Kubernetes/BTP-Setup, Unterstützung über 2040 hinaus.
- Sicherstellung von Wartung & Support – inklusive gesetzliches Release-Management und Reaktionsfähigkeit auf neue Anforderungen.
- Wirtschaftlichkeit & Investitionsschutz – Kosten nicht höher als bisher, Hilfen für individuelles Customizing.
Foto: Michael Pfeil, DSAG-Arbeitskreissprecher Healthcare, Universitätsklinikum Bonn, Abteilungsleiter Betriebswirtschaftliche Applikationen: „Die KIS-Hersteller nehmen die Bedarfe der Branche nicht ernst und treiben sie in teure und langfristig riskante Abhängigkeiten.“
Investitionen frühzeitig planen
Das alles im Blick, empfiehlt es sich, dass die Häuser zeitig mit Projekten und Ausschreibungen beginnen. „Realistisch gerechnet sind für Auswahl und Betrieb bis zu drei Jahre notwendig. Viele Kliniken werden Extended-Maintenance Verträge benötigen“, ist sich Pfeil sicher. Zudem seien für eine zukunftsfähige Klinik-IT Investitionen in die SAP Business Technology Plattform, FHIR- und andere Schnittstellen sowie in eine Cloud-oder On-Premises-Infrastruktur einzuplanen.
Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe e. V.
Die Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe e. V. ist einer der einflussreichsten Anwenderverbände der Welt. Viele engagierte Mitglieder aus über 4.000 Unternehmen bilden ein starkes Netzwerk: vom Mittelstand bis zum DAX-Konzern, von der Fachabteilung bis zur CxO-Ebene, quer über alle Branchen. In Deutschland, Österreich und der Schweiz. www.dsag.de
Quelle: Krankenhaus-IT Journal, Ausgabe 04/2025 - Stand September 2025
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