KI in der Medizin: Zwischen kalter Präzision und klinischem Bauchgefühl

Veröffentlicht 04.11.2025 09:50, Kim Wehrs

Integration von KI-Systemen in medizinische Tätigkeiten steht für einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel in Diagnostik, Therapie und Entscheidungsprozessen. Ihre Stärke liegt in der Fähigkeit, riesige Datenmengen zu verarbeiten, Muster zu erkennen und Wahrschein-lichkeiten zu berechnen, die das menschliche Auge oft übersieht. Dadurch entsteht der Anspruch auf eine neue Objektivität. Wie vertrauenswürdig ist künstliche Intelligenz?

Klinische Entscheidungen sollen nicht länger durch individuelle Wahrnehmungen oder Erfahrungs-grenzen beeinflusst werden, sondern auf quantifizierbaren Evidenzen beruhen. Doch diese ver-meintliche Objektivität ist trügerisch, denn die Grundlagen der KI selbst sind das Produkt mensch-licher Subjektivität, von der Datenauswahl über die Modellarchitektur bis hin zu den Anwendungs-zielen im klinischen Alltag.

Vertrauenswürdigkeit dieser KI-Systeme und das Vertrauen der Ärzte und Patienten in diese Systeme sind zu definieren. Ein zu hohes Maß an Vertrauen kann dazu führen, dass Ärzte sich unkritisch auf diese Technologie verlassen, während zu wenig Vertrauen darin resultieren kann, dass Ärzte die Vorteile dieser Technologie für ihre Entscheidungen nicht nutzen. Um eine Balance zwischen diesen Extremen zu finden, muss die Vertrauens-würdigkeit eines Systems korrekt eingeschätzt werden. So ist es möglich zu entscheiden, ob diesem System vertraut werden kann oder nicht. Dabei zeigt sich, warum Vertrauenswürdigkeit und Vertrauen eine zentrale Rolle beim Einsatz KI-basierter Systeme spielen.

Ein sensibles Verhältnis

In der Praxis zeigt sich, dass medizinische KI-Systeme ihre Leistungsfähigkeit stets im Rahmen menschlicher Definitionen von Krankheitsbildern und klinischen Prioritäten entfalten. Die Daten, mit denen sie lernen, spiegeln bestehende medizinische und gesellschaftliche Wertsysteme wider. So reproduzieren Algorithmen unausweichlich auch die Biases ihrer Schöpfer, etwa geschlechtsspezifische Unterschiede in Diagnosen, ethnische Verzerrungen oder ökonomisch motivierte Priorisierungen. Objektivität im eigentlichen Sinn kann daher nur so weit reichen, wie die Subjektivität ihrer Ursprünge kritisch reflektiert und korrigiert wird.

Gleichzeitig verändert KI die Art und Weise, wie medizinische Subjektivität verstanden wird. Ärztliche Intuition, Empathie und klinische Erfahrung verlieren nicht an Bedeutung, sondern finden eine neue Rolle als interpretative Instanzen im Zusammenspiel mit algorithmischen Erkenntnissen. Eine gelungene Integration von KI verlangt daher nicht die Unterordnung des Menschen unter die Maschine, sondern eine bewusste Koexistenz: KI liefert messbare Wahrscheinlichkeiten, der Mensch setzt sie in Beziehung zum individuellen Schicksal des Patienten.

Die Balance zwischen algorithmischer Objektivität und menschlicher Subjektivität ist somit kein Widerspruch, sondern der Kern einer verantwortungs-vollen Medizin im digitalen Zeitalter. Wenn beide Dimensionen sich gegenseitig korrigieren und ergänzen, kann KI zu einem tatsächlichen Fortschritt führen,  nicht nur technisch, sondern auch ethisch und menschlich.

Die Einführung KI-basierter Systeme im Krankenhaus berührt ein sensibles Verhältnis zwischen technischer Vertrauenswürdigkeit und menschlichem Vertrauen. Vertrauenswürdigkeit entsteht durch transparente Algorithmen, nachprüfbare Entscheidungen und robuste Datenschutzmechanismen. Sie verlangt nachvollziehbare Prozesse, regulatorische Kontrolle und kontinuierliche Qualitätsüberwachung. Vertrauen hingegen entsteht auf emotionaler Ebene durch die Erfahrung, dass die Technologie zuverlässig, sicher und im Sinne der Patientinnen und Patienten handelt. Signalisiert KI in der Medizin eher kalte Präzision oder klinisches Bauchgefühl? Was  wächst, wenn Ärzte, Pflegekräfte und IT-Verantwortliche verstehen, wie das System funktioniert, und es als Unterstützung, nicht als Bedrohung, wahrnehmen. Wenn strukturelle Vertrauenswürdigkeit und gelebtes Vertrauen zusammenwirken, kann KI langfristig Akzeptanz und Nutzen im Krankenhaus entfalten.

Autor: Wolf-Dietrich Lorenz

Symbolbild: Sansert / AdobeStock

 


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