Krankenhauszukunftsgesetz forciert Digitalisierung

Interview

Veröffentlicht 13.11.2020 10:20, Kim Wehrs

Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) stellt die Bundesregierung drei Milliarden Euro bereit, damit Krankenhäuser unter anderem in die Digitalisierung investieren können. Die Bundesländer sollen weitere 1,3 Milliarden Euro beisteuern. Das wird die Digitalisierung des Gesundheitswesens deutlich voranbringen, sind sich Thomas Simon, Senior Vice President Clinical DE-CH bei CompuGroup Medical und Bernhard Calmer, Geschäftsführer der CGM Clinical Europe GmbH, sicher.

Welche Anforderungen müssen Krankenhäuser erfüllen, um in den Genuss einer Förderung aus dem KHZG zu kommen?

Bernhard Calmer: Davon gibt es eine ganze Menge. Beispielsweise dürfen Anträge nur für neue, noch nicht begonnene Projekte gestellt werden. Zudem muss in jedem Antrag ein Anteil von mindestens 15 Prozent für die IT-Security vorgesehen sein. Ganz wesentlich ist aber, dass alle geplanten Projekte auf der Telematikinfrastruktur (TI) der EPA, basieren. Deswegen möchte ich alle Krankenhäuser, die hier noch nicht aktiv geworden sind, eindringlich ermuntern, die TI möglichst zeitnah umzusetzen. Nur so schaffen sie die technologischen Rahmenbedingungen für die KHZG-Förderung.

Stellt das besondere Herausforderungen an die IT-Abteilungen von Krankenhäusern?

Thomas Simon: Der zeitliche Rahmen ist sehr eng gesteckt, die Mittel können nur über die nächsten zwei Jahre abgerufen werden. Das erhöht natürlich den Installationsdruck, den zum Teil auch die IT-Abteilungen abfangen müssen. Zudem wird das Ergebnis der Prozessverbesserungen durch die geförderte Digitalisierung 2023 gemessen. Die Projekte müssen also bis dahin schon realisiert sein. Das wiederum bedeutet, dass sich die Krankenhäuser auch frühzeitig personell verstärken sollten, denn es ist davon auszugehen, dass die Themen mit der vorhandenen Mannschaft meist nur bedingt umgesetzt werden können.

Wie werden die Ergebnisse der geförderten Projekte gemessen?

B. Calmer: Dazu schreibt das Bundesgesundheitsministerium ein digitales Reifegradmodell aus, das wissenschaftlich begleitet und evaluiert wird. Technisch stelle ich mir das wie ein webbasiertes Tool vor, in dem ein relativ ausführlicher Fragenkatalog beantwortet werden muss. Die sich daraus ergebende Reifegradstufe entscheidet dann auch über die künftige Vergütung. Ist keine Verbesserung ersichtlich, wird das Haus mit einem Abschlag von bis zu zwei Prozent pro abgerechnetem Fall belegt.

Wie können Sie als CompuGroup Ihre Kunden in diesem Prozess unterstützen?

T. Simon: Was wir aktuell in der Krankenhauslandschaft beobachten, ist, dass viele Kliniken noch keine langfristige ganzheitliche IT-Strategie entwickelt haben. Genau da stehen wir als Partner zur Seite und schauen über den Tellerrand der gegenwärtigen Förderung in die nächsten wenigstens fünf Jahre. Und nicht nur das: Wir bieten vielmehr ein Full Service-Paket, das neben der Beratung auch alle Lösungen aus einer Hand beinhaltet – von der medizinischen Applikation über die IT-Sicherheit und Services bis zu den Komponenten der TI. Dieses Angebot gilt ab sofort.

Thomas Simon, CGM

Thomas Simon, Senior Vice President
Clinical DE-CH bei CompuGroup Medical.

Was versprechen Sie sich als IT-Anbieter vom KHZG?

T. Simon: Wir erwarten einen Digitalisierungsschub in der gesamten Krankenhauslandschaft und eine wachsende Bereitschaft, sich ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen. Unser Alleinstellungsmerkmal sehen wir in der digitalen Vernetzung aller Beteiligten der Gesundheitsversorgung: vom Patienten über die Arztpraxis bis hin zum Krankenhaus mit seinen vielschichtigen Prozessen - von der Notfallversorgung über Speziallösungen bis zur Überleitung in die Reha und die ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen. Das alles mit ganzheitlichen Konzepten und hochmodernen Lösungen, die alle Themenbereiche der Förderung abdecken.

Welche sind das beispielsweise?

T. Simon: Wir haben ein komplett neues Klinikinformationssystem im Portfolio – webbasiert und browserunabhängig. Damit decken wir alle klassischen Prozesse in einem Krankenhaus ab – auch die, die häufig noch manuell gemanagt werden. Dazu gehören etwa pflegerische Abläufe inklusive Visite und Fieberkurve. Darauf zielt das KHZG. Diese elektronische Dokumentation von Pflege- und Behandlungsleistungen können wir mit unseren Systemen sprachbasiert abbilden. Ein anderes Beispiel ist die Therapieplanung, die wir in einem neuen Modul sehr einfach in ein klinisches Informationssystem integrieren können, genauso wie die Dienstplanung.

Das KHZG hat viel mit der Zukunftsfähigkeit von Kliniken zu tun. Wie muss eine Software heute aussehen, um fit für 2025 zu sein?

B. Calmer: Eine Software wird nie zu 100 Prozent die Digitalisierungsanforderungen eines Krankenhauses abdecken können. Also muss sie integrativ sein, Standards wie beispielsweise FHIR bedienen und über offene Schnittstellen verfügen. Das haben wir in unserem Krankenhausinformationssystem konsequent umgesetzt. Wir arbeiten dabei erfolgreich mit einem FHIR-Backend, über das auch Partnerlösungen einfach eingebunden werden können.
Die größten gesetzlichen Veränderungen erwarte ich bei der sektorübergreifenden Versorgung. Auguren des Marktes spekulieren über die Änderung des DRG-Systems hin zu Regionalbudgets oder Ähnlichem. Auch dafür benötigen wir heute schon Konzepte. An denen arbeiten wir, weil wir bereits über sektorübergreifende Lösungen bei allen relevanten Playern verfügen. Darüber hinaus benötigen wir ein nachhaltiges, langfristiges Datenmodell, das in der Lage ist, medizinische Informationen semantisch korrekt abzuspeichern. Ich erwarte, dass SNOMED und andere Ontologien in wenigen Jahren nicht nur die Daten standardisieren, sondern auch die Dateninhalte. Auch dafür sind wir schon heute bestens gerüstet.

Werden Krankenhäuser in Zeiten des Fachkräftemangels durch moderne IT auch zu einem attraktiveren Arbeitgeber?

T. Simon: Absolut. Wir sehen das in den Häusern, die im unmittelbaren lokalen und regionalen Wettbewerb stehen. Einrichtungen, die beispielsweise bereits mit einer mobilen Lösung arbeiten, haben es nach eigener Aussage leichter, Pflegepersonal und Ärzte zu rekrutieren, weil sie den Prozess am Point of Care unterstützen. Denn die Mitarbeiter möchten möglichst patientenorientiert und zugewandt arbeiten, ohne ständig zu dokumentieren. Und sie möchten Spaß an der Arbeit haben. Beides kann intelligente IT unterstützen. Überall dort, wo IT entweder mühsames Arbeiten erleichtert oder Zusatznutzen bietet, etwa durch regelbasierte Hinweise zur Versorgung oder Querprüfungen von Anordnungen, liefert sie ein entscheidendes Unterscheidungskriterium im Wettbewerb – nicht nur beim Kampf um die Talente.

Wird die Covid 19-Pandemie Einfluss auf die Digitalisierungsdiskussion haben?

B. Calmer: Ganz sicher. Wir sehen heute, dass man einen Patienten auch per Videosprechstunde erfolgreich behandeln kann. Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Ich glaube, dass der Bürger dabei von sich aus eine stärkere Positionierung vornehmen wird – nach dem Motto: „Es hat doch gut geklappt. Warum soll das jetzt aufhören?“ Er wird nicht einsehen, warum er für ein Kontrollgespräch oder eine Abschlussbesprechung den vielleicht weiten Weg in ein Krankenhaus oder zu einem Facharzt auf sich nehmen soll. Betrachten wir gleichzeitig die Entwicklung des Krankenhaussektors in Summe, müssen wir davon ausgehen, dass wir vielleicht ein paar Krankenhäuser weniger oder nicht mehr jede Fachrichtung an jedem Standort vorfinden. Auch hier helfen uns digitale Werkzeuge, die nötige Expertise an den richtigen Ort zu bringen, ohne dass die Patienten dafür weitere Anfahrten unternehmen müssen. Ich bin überzeugt, diese Versorgungsformen werden ein fester Bestandteil des Gesundheitswesens. CompuGroup ist dafür gerüstet und mit eigenen Lösungen sehr gut aufgestellt. Unsere Anstrengungen gelten aktuell einer noch tieferen Integration in das Krankenhausinformationssystem.

Bernhard Calmer, CGM

Bernhard Calmer, Geschäftsführer der
CGM Clinical Europe GmbH.

Wie haben Sie Ihre Kunden in der Pandemiezeit ganz konkret unterstützt?

B. Calmer: Ein schönes Beispiel kommt aus Spanien. In Madrid haben wir ein komplettes virtuelles Krankenhaus aufgebaut und mit unserer Software ausgestattet. So waren die Behörden aus dem Nichts innerhalb von 14 Tagen handlungsfähig, um das Patientenaufkommen zu bewältigen. In Deutschland haben wir ungefähr 30 Prozent unserer Kunden mit Trackingsystemen ausgestattet, um zu dokumentieren, welcher Patient mit welchen anderen Patienten und mit welchen Mitarbeitern des Krankenhauses Kontakt hatte. Im Falle einer später entdeckten Covid 19-Infektion konnte man die Infektionsketten sehr schnell nachvollziehen. Darüber hinaus haben wir Backup-Lösungen für Krankenhäuser mit einer dünnen Personaldecke aufgebaut. Das heißt, wenn sich eine IT-Abteilung komplett in Quarantäne hätte begeben müssen, hätten wir dort einen Teil der Versorgung sicherstellen können.

Welche wesentlichen Entwicklungen erwarten Sie in der Zukunft?

T. Simon: Ich bin überzeugt, dass das Gesundheitswesen in Deutschland intersektoraler, ambulanter und stärker vernetzt sein wird. Die Digitalisierung ist der Schlüssel dazu, denn ohne den Fluss der Daten können wir auch den Fluss der Behandlung über die Sektorengrenzen hinweg nur schwer gewährleisten.

Wo sehen Sie die Rolle von CompuGroup in diesem Prozess?

B. Calmer: Als Berater und Enabler. Eine unserer Aufgaben wird es sein, die Konzepte in den verschiedenen Ideen- und Findungsphasen zu begleiten und auch in Betatests, Pilotstudien oder sogar Referenzregionen umzusetzen. Das wird eine spannende Aufgabe und wir werden unsere Software frühzeitig den sich dann verändernden Bedingungen anpassen.

Sind Sie vorbereitet?

T. Simon: Ja! Die Basis haben wir bereits gelegt und die entsprechenden Systeme befinden sich im Einsatz. Unser neues KIS bildet die Grundlage für alle anderen Entwicklungen, die wir für die weiteren Sektoren aufbauen. Wir denken da von Beginn an integrativ. Am Ende des Tages ermöglichen wir eine multiprofessionelle Workflowunterstützung durch alle Bereiche: sei es der administrative Bereich im Krankenhaus, sei es ein akutklinisches Verfahren, sei es ein rehaklinisches Verfahren, sei es ein Prozess in der Pflege, sei es in der ambulanten oder stationären Altenpflege. Das soll grundsätzlich aus einem System, mit einem Datenmodell in einer sehr großen funktionalen Breite geschehen. Und genau das formen wir unter dem Begriff CGM Health Alliance. Wir sind davon überzeugt, dass wir zukünftig große Regionen mit einem System über Sektorengrenzen hinweg bedienen werden – ähnlich wie wir das zum Teil bereits in Skandinavien tun. Dort sehen wir, dass unsere Systeme sehr gut dazu geeignet sind, multiprofessionelle Workflows abzubilden.


B. Calmer: Unser Slogan lautet ja nicht umsonst „Synchronising Healthcare“. Der Auftrag, den die CompuGroup Medical sich selbst definiert hat, ist eine umfassende Versorgung mit IT-Lösungen. Das geht über die Sektoren ambulant und stationär deutlich hinaus. Es betrifft genauso die Rehabilitation wie den Homecare-Bereich, aber auch die Software, die auf Seiten der Krankenkassen eingesetzt werden.

Gibt es da bereits ein Beispiel?

T. Simon: Das gibt es. In Stadt und Region Aachen haben wir mit der Fallakte gute und professionelle Vorarbeiten geleistet. Diesen Anwendungsfall planen wir auf andere Regionen zu übertragen. Damit zeigen und untermauern wir den CompuGroup Leitgedanken: Wir synchronisieren das Gesundheitswesen.

Vielen Dank für die spannenden und erhellenden Einblicke, Herr Simon und Herr Calmer.

Quelle: Krankenhaus-IT Journal, Ausgabe 04/05-2020, Stand Oktober 2020


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Print-Interview aus der Oktober-Ausgabe des Krankenhaus-IT Journals
19.10.2020 331

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