Ein Spanier digitalisiert im Homeoffice Kliniken weltweit

Vertriebler im „Hausarrest"

Veröffentlicht 01.12.2020 15:00, Kim Wehrs

Javier Martín Martínez liebt den persönlichen Kontakt – und das Reisen. Beides gehörte bisher zu seinem Alltag als Senior Market Manager bei der Telekom Healthcare Solutions. Doch aus Angst, bei einem Lockdown nicht mehr zu seiner Familie zu dürfen, arbeitet er im Homeoffice in der Nähe von Madrid. Und ist selbst überrascht, wie gut das funktioniert: Von zuhause aus berät er Kliniken in Europa, Lateinamerika, Afrika und Asien. Im Interview spricht der gebürtige Spanier über den rasanten Wandel der Gesundheitsbranche, internationale Unterschiede und mit dem Fax-Gerät über einen Technik-Dinosaurier, an dem die Digitalisierung vielerorts bislang nahezu spurlos vorbei gegangen ist.

Herr Martín, noch bis vor kurzem waren Sie öfter unterwegs als zuhause. Das ist durch Corona unmöglich geworden. Wie läuft die Arbeit?

Javier Martín Martínez: Erstaunlich gut. Auch wenn das Homeoffice für mich eine wirklich große Umstellung ist. Normalerweise arbeite ich in Berlin und bin beruflich viel unterwegs. Jetzt, wo die Corona-Fälle wieder rasant zunehmen, bin ich froh, bei meiner Familie in Madrid zu sein. Ich war durch Corona bereits Anfang des Jahres längere Zeit von meiner Frau und meinen drei Kindern getrennt. Das muss sich nicht noch einmal haben. Via Chat und Videokonferenz kann ich Kollegen und Kunden problemlos erreichen. Wissenstransfer hängt ja zum Glück nicht von der Vor-Ort-Präsenz ab.

Gehören lange Flugstrecken für Sie nun grundsätzlich zur Vergangenheit?

Javier Martín Martínez: Nein, das denke ich nicht. Sobald es wieder möglich ist, werde ich auch wieder Kundentermine im Ausland wahrnehmen. Denn der Wechsel ins Virtuelle hat vor allem deswegen so reibungslos funktioniert, weil ich die meisten meiner Ansprechpartner bereits persönlich kenne. Es wird schwierig werden bei potenziellen Neukunden nur durch einen Videocall das Eis zu brechen. Die vergangenen Wochen haben mir allerdings gezeigt, dass ich nicht jedes Gespräch vor Ort führen muss. Ich finde es zwar toll, Menschen verschiedener Länder und Kulturkreise zu begegnen. Lange Flüge, Staus und Jetlags vermisse ich aber ganz und gar nicht. Auch mit Hinblick auf meinen CO2-Fußabdruck werde ich da künftig stärker abwägen.

Sie sind bei Telekom Healthcare Solutions als Senior Market Manager tätig. Was machen Sie genau?

Javier Martín Martínez: Als internationaler Businessexperte unterstütze ich hauptsächlich unsere Teams in Europa und Lateinamerika dabei, das Healthcare-Geschäft vor Ort auszubauen. Dabei geht es unter anderem darum, landesspezifische Strategien zu entwickeln, Businesspläne zu erstellen und festzustellen, welche Investments nötig sind. Benötigen die Kollegen bei der Kundenbetreuung vor Ort Unterstützung, nehme ich an Beratungsterminen teil, halte Präsentationen und stelle IT-Lösungen wie etwa iMedOne oder SAP Patient Management vor. So bin ich von Anfang an dabei, erfahre, was unsere Kunden benötigen und bin an der Entwicklung der finalen Lösung beteiligt.

Sie sind seit über 20 Jahren in der Gesundheitsbranche tätig. Wie hat sich das Geschäft in dieser Zeit gewandelt?

Javier Martín Martínez: Zu Beginn meiner Karriere war es üblich, einzelne Krankenhäuser zu digitalisieren. So war ich Ende der 1990er Jahre beispielsweise daran beteiligt, im renommierten Hospital Clinicó in Barcelona ein Krankenhausinformationssystem (KIS) und elektronische Gesundheitsakte zu implementieren. Solche isolierten Krankenhausimplementierungen gibt es heute kaum noch in der EU. Unsere Kunden sind große Kliniken wie etwa Insel Gruppe AG Switzerland, das Generalitat Institut Català de la Salut oder die Raffles Medical Group in Singapore. Da geht es darum, Krankenhäuser einer ganzen Region oder sogar eines ganzen Landes zu vernetzen.

Das klingt nach einer wachsenden Herausforderung.

Javier Martín Martínez: Das ist richtig. Hatten wir früher auf Kundenseite einen Ansprechpartner, gilt es heute viele Entscheider mit ins Boot zu holen. Die klassische Client-to-Provider-Implementierung, in der wir beim Kunden lediglich die Technik ans Laufen bringen, funktioniert im Gesundheitsbereich nicht mehr: Unsere Kunden erwarten von uns partnerschaftliche Zusammenarbeit und spezielles Wissen über die Abläufe in Kliniken sowie das Zusammenspiel mit anderen Anbietern medizinischer Technologie. Und das in immer kürzerer Zeit. Wurden Projekte früher in Jahren gemessen, planen wir heute in Tagen, maximal in Wochen. Nehmen wir ein prominentes Beispiel, das mich sehr fasziniert: die Corona-Warn-App: Hier hat die Telekom mit verschiedensten Stakeholdern zusammengearbeitet – und nach nur 50 Tagen war die App am Start.

Wodurch unterscheiden sich Kliniken in den verschiedenen Ländern? 

Javier Martín Martínez: Es gibt große Unterschiede im Digitalisierungsgrad. Spanien zum Beispiel ist hier viel besser als sein Ruf: Mein Heimatland macht derzeit vor allem wegen hoher Corona-Infektionszahlen Schlagzeilen. Dabei wird schnell übersehen, dass wir in Europa zu den Ländern zählen, die ihr Gesundheitswesen am stärksten digitalisiert haben. Während in Deutschland in vielen Kliniken aus Datenschutzgründen sogar teilweise noch die Faxgeräte heiß laufen und papierbasierte Workflows etabliert sind, ist in Spanien die Digitalisierung der Krankenhäuser nahezu vollendet. Kunden fragen hier stärker nach medizinischen Diagnose auf Basis von Big Data Analytics durch die Implementierung von elektronischen Gesundheitsakten in iMedOne oder i.s.h.med: Das hilft beispielsweise, aus gesammelten Daten Erkenntnisse zu ziehen oder nach Lösungen, die Patienten dabei unterstützen, chronische Krankheiten besser in den Griff zu bekommen. Ganz anders zum Beispiel in Lateinamerika: Hier werden die Faxgeräte erst verstummen und Papier-basierte Workflows erst abgelöst, wenn die Region in Sachen digitaler Infrastruktur aufgeholt hat.

Welche Lösungen sehen Sie als besonders zukunftsweisend in der Gesundheitsindustrie?

Javier Martín Martínez: Neben der eben bereits genannten Datenanalyse und dem damit verbundenen Einsatz künstlicher Intelligenz sehe ich in der Telemedizin große Chancen für die Zukunft. Mit dem Arzt vom Krankenbett aus chatten, statt im vollen Wartezimmer zu sitzen, ist nicht nur in Zeiten von Corona eine gute Alternative. Gerade Patienten in dünn besiedelten Regionen erhalten so eine verlässliche medizinische Versorgung. Dazu gehört für mich auch, Rezepte online erhalten zu können. Das ist inzwischen in vielen europäischen Ländern gelebte Realität – und wird auch in Deutschland nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Die Corona-Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie fragil unser Gesundheitswesen sein kann. Was können wir daraus lernen?

Javier Martín Martínez: Dass Krankheiten nicht an Grenzen halt machen und wir viel stärker länderübergreifend zusammenarbeiten müssen. Der Digitalisierung wird dabei eine große Bedeutung zukommen. Im Healthcare-Bereich gibt es bereits weltweite Standards für Codes und die Struktur von Datenbanken. Das wird uns in Zukunft helfen, Lösungen zu entwickeln, von denen wir alle profitieren. Hilfreich ist es dabei, Experten mit internationalem Know-how an Bord zu haben.

 

Zur Person:

Javier Martín Martínez ist seit 1999 als IT-Berater in der Healthcare-Branche tätig. 2002 übernahm er die Position des CIOs beim spanischen Kliniknetzwerk „Grupo 3A Recoletas“. 2006 stieg er bei T-Systems Iberia ein und war dort von 2010 bis 2014 Head of eHealth Solutions Sales. Seit 2014 arbeitet er als Senior Market Manager International bei der Telekom Healthcare Solutions in Berlin. Der 49-Jährige ist verheiratet und hat drei Kinder.

 


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