„Kürzester Weg zu neuen Versorgungsmodellen“

Interview

Veröffentlicht 09.07.2021 08:20, kiw

IT-Lösungen im Gesundheitswesen müssen zukunftsfähig sein. Daten sind eine Voraussetzung für Entscheidungen und können Leben retten. Hierzu braucht es offene Plattformen, die den Kliniken die Kontrolle über diese Daten sowie Arbeitsabläufe und Transformationspläne gibt, um die Patientenversorgung zu verbessern. Das Krankenhaus-IT Journal sprach mit Tomaž Gornik, CEO, Better.


Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist eine enorme Herausforderung. Welche innovativen Ansätze verfolgen Sie, welche Lösungen können Sie anbieten?

Wir stehen für einen Open-Data-Ansatz, der die Daten von den Anwendungen trennt. Unsere Lösungen basieren auf einer offenen Technologie, die Gesundheitsdaten vereinheitlicht, vereinfacht und jederzeit und überall Zugriff auf diese Daten bietet. Die Daten können von Gesundheitsorganisationen oder über Systemgrenzen hinweg auf jeder Ebene verwendet werden, z. B. regional, auf Landesebene oder global. Unser Hauptprodukt, Better Platform, ist eine digitale Gesundheitsplattform, die auf openEHR-Standards basiert und die Verwaltung von Gesundheitsdaten ermöglicht, sodass Anwendungen von verschiedenen Anbietern auf gemeinsame Informationen zugreifen können.

Die Plattform ermöglicht die Erfassung und Harmonisierung von Daten aus unterschiedlichen Systemen und verhindert so Datensilos, die den Austausch und die Nutzung von Gesundheitsdaten oft nicht nur innerhalb einer Gesundheitseinrichtung, sondern zwischen verschiedenen Unternehmen entlang der Reise eines Patienten behindern. Als integraler Bestandteil von Better Platform ermöglicht unser EHR-Studio klinischen Teams, schnell ihre eigenen Formulare oder Anwendungen zu erstellen, die ihren Anforderungen entsprechen. Die Medizinische Hochschule Hannover hat beispielsweise eigenständig eine kardiologische Anamnese-Anwendung zur strukturierten Erfassung und Speicherung medizinischer Daten mit den Studiotools von Better entwickelt, die keine Programmierkenntnisse erfordern. Die App wurde innerhalb weniger Tage von einem leitenden Kardiologen, Pflegerinnen in Ausbildung sowie Klinikern anderer beteiligter Cardio-Teams entwickelt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Better Platform mit einem zukunftssicheren Data Repository, EHR-Studio und benutzerfreundlichen Tools sowie integrierten digitalen Workflows (Apps) den kürzesten Weg zu neuen Versorgungsmodellen bietet, die sich Kliniker vorstellen können.


Wer ist Ihre Zielgruppe?

In Deutschland legen wir unsern Schwerpunkt auf den Ausbau der Kooperation mit den Universitätskliniken als Treiber des Wandels. Wir suchen auch Partnerschaften mit privaten Krankenhausketten und spezialisierten Gesundheitsdienstleistern wie Onkologiezentren. Aufgrund der bestehenden IT-Infrastruktur in Deutschlands Krankenhäusern suchen wir Partner, die wissen, wie wir unsere Technologie in solche Ökosysteme integrieren oder auf sie aufsetzen können.


Wo liegen die größten Herausforderungen?
Welche Hürden erwarten Sie?

Die IT im Gesundheitswesen ist zu einem sehr wettbewerbsintensiven Markt geworden, wo Sie auch hinschauen. Wir gehen davon aus, dass wir mit bestehenden Anbietern konkurrieren, die bereits eine anerkannte Marke in Deutschland haben. Der Wettbewerb dreht sich hauptsächlich um verschiedene technische Konzepte, da wir den Open-Data-Ansatz vertreten. Wir haben jedoch gute Produkte, die sich in 15 verschiedenen Märkten, darunter auch in Deutschland, bewährt haben. Wir konkurrieren mit riesigen, milliardenschweren Unternehmen im Gesundheitswesen und sind erfolgreich, da wir zu unseren Kunden mehrere erstklassige Gesundheitseinrichtungen zählen können, wie die Charité in Berlin, mehr als 30 NHS Trusts in Großbritannien , Städte wie Moskau und sogar ganze Länder mit landesweiten Projekten in Malta, Slowenien und Wales.


Haben Sie eine Zukunftsvision und wenn ja, wie möchten Sie an deren Verwirklichung arbeiten?

Was in Zukunft passieren wird, ist heute schon erkennbar. Die Verlagerung der Versorgung von Krankenhäusern hin zu Ambulanzen, ambulanten Pflegediensten und sogar ins „zu Hause“ der Patienten findet statt. Fortschritte bei klinischen Ansätzen und Technologien, Verbraucher, die sich Komfort wünschen, und Kostenträger, die Kostensenkungen fordern, werden diesen Wandel weiter beschleunigen. Gleichzeitig liegt der Fokus nicht mehr allein auf Krankheiten und Behandlung, sondern verstärkt auf Prävention und Wellness und verstärkt damit die Verlagerung der Versorgung weg vom Krankenhaus. Um diesen Übergang erfolgreich zu bewältigen, muss die IT-Architektur auf einer offenen Plattform basieren, die eine herstellerneutrale Datenschicht im Zentrum hat, damit Unternehmen mit verschiedenen Anbietern zusammenarbeiten können. Low-Code-Tools zur rascheren Anwendungsbereitstellung; und Anwendungserfahrungen, die für den Benutzer zugeschnitten sind. Um die Lücke zwischen dem gegenwärtigen und dem zukünftigen Zustand zu schließen, müssen ältere EHRs und neue offene plattformbasierte Systeme nebeneinander existieren können, und dies wird Innovationen während des Übergangsprozesses ermöglichen.


Wie groß und präsent ist Ihr Unternehmen, speziell in Deutschland?

Wir eröffnen die Better GmbH in Deutschland, um die neun Universitätskliniken, die Teil des HiGHmed-Konsortiums sind und die Better Platform für Forschungszwecke nutzen, besser zu unterstützen. Durch die Gründung eines Unternehmens in Deutschland können wir unsere aktuellen und zukünftigen Kunden noch besser betreuen. Unser Hauptsitz wird in Hamburg mit Büros in Frankfurt und Berlin sein. Der
Geschäftsführer verfügt über fundierte Branchenkenntnisse und wird ein Team von klinischen IT-Experten aufbauen, um unsere Kunden zu unterstützen und unsere Präsenz auszubauen.

Insgesamt befinden wir uns derzeit in einer kräftigen Wachstumsphase, sowohl geschäftlich als auch personell. In diesem Jahr erwarten wir eine Umsatzsteigerung von 60 % und mindestens 40 % neue MitarbeiterInnen. Derzeit haben wir rund 130 MitarbeiterInnen in unserem Team, von denen in den letzten 12 Monaten mehr als 30 eingestellt wurden. In diesem Jahr erwarten wir einige bahnbrechende Aufträge, die es uns ermöglichen, in neue Bereiche vorzustoßen. Eine davon ist beispielsweise das breite Feld der Krebsbehandlung, das von den Lösungen großer Anbieter relativ schlecht abgedeckt wird. Ein anderer ist der pharmazeutische Bereich der Gesundheitsdaten, da sich gezeigt hat, dass Pharmaunternehmen mit ähnlichen Datenherausforderungen wie Gesundheitsdienstleister konfrontiert sind: Fragmentierung, Silos und Mangel an Vernetzung der Gesundheitsdaten der Patienten.

Was sind typische Referenzprojekte, in denen Ihre Produkte schon eingesetzt sind?

Es gibt viele Beispiele, da wir bereits über 120 Installationen in 15 verschiedenen Ländern haben. Wie bereits erwähnt, arbeiten wir mit über 30 NHS-Trusts in UK zusammen. Der Somerset NHS Foundation Trust zum Beispiel erstellt ein Multivendor-Ökosystem von Anwendungen und Tools auf der Grundlage der Better Platform. Der Trust wollte ein System, das die Daten von den Anwendungen trennt und es medizinischen Teams ermöglicht, mit verschiedenen Anwendungen überall und jederzeit auf diese Daten zuzugreifen. Wales hat sich vor Kurzem auch für die Better Platform entschieden, um seine Gesundheitsakten zu verbinden und einen nahtlosen Datenaustausch zwischen all seinen Gesundheitsdienstleistern zu ermöglichen. Slowenien ist ein weiteres Beispiel mit einem landesweiten, auf Standards basierenden integrierten Gesundheitsinformationssystem auf der Grundlage der Better Platform – es enthält derzeit 85 % der nationalen Gesundheitsdaten. Die Plattform unterstützt Gesundheits- und Pflegedienste durch den Einsatz von Document-Sharing-Funktionen (IHE XDS), um die bereits von Legacy-Systemen erstellten Dokumente zu mobilisieren, die um die Fähigkeit erweitert wurden, Daten in ein offenes strukturiertes Format (openEHR) zu bringen, das technologie- und herstellerneutral ist.


Was ist die größte Auswirkung, die Ihre Produkte bisher erzielt haben?

Die größte Transformation, die ich gesehen habe, ist das EHR-Projekt, das die gesamte Stadt Moskau umfasst, mit mehr als 500 medizinischen Einrichtungen und fast 13 Millionen Bürgern, die jetzt jeweils über eine einheitliche elektronische Gesundheitsakte verfügen. Es ist ein massiver Wandel, der das Gesundheitssystem durch die Digitalisierung wirklich verändert. Die Vorteile kamen wirklich zum Vorschein, als man mit der Notwendigkeit konfrontiert wurde, alle Bürger in kurzer Zeit zu testen und zu impfen. Die Stadtverwaltung lobte kürzlich die Plattform dafür, dass sie schnell auf die Pandemie reagieren konnte.

Die digitale Transformation im Universitätskinderkrankenhaus in Ljubljana hatte sowohl für das Krankenhaus als auch für uns als Unternehmen eine große Bedeutung. Es war eines der ersten Projekte, bei dem wir openEHR-Lösungen implementierten und eng mit medizinischen Teams zusammengearbeitet haben, um den Erfolg des Projektes sicherzustellen. Vor der digitalen Transformation waren die meisten Prozesse und Arbeitsabläufe im Krankenhaus papierbasiert. Heute sind 90% davon vollständig elektronisch, was sowohl für Pflegepersonal als auch für Ärzte eine entscheidende Zeitersparnis bedeutet. Dies wurde auch international anerkannt, da das Krankenhaus im Bereich Digitalisierung HIMSS Level 6 von möglichen 7 erreichte. Damals gab es in der EU nur 26 solcher Krankenhäuser.


Wie lange dauert es, Ihre Lösung zu implementieren und wie lange, bis Ihre Kunden von der Veränderung profitieren?

Die Plattform unterstützt ein Szenario, in dem Benutzer innerhalb von Tagen oder Wochen (je nach Komplexität) von der Idee zum funktionierenden Programm gelangen können. Diese Fähigkeit hat sich bei vielen unserer Kundeninstallationen bewährt, auf denen beispielsweise Kliniker Webformulare zur Aggregation von Patientendaten für ihre spezifischen Arbeiten und Aufgaben erstellt haben. Die Lösung bietet die Flexibilität, spezifisches medizinisches Wissen auf eine Weise darzustellen, die es ihr ermöglicht, die Komplexität und die schnelle Entwicklung klinischer Konzepte zu assimilieren und den Bedarf an Interoperabilität mit anderen klinischen Datenquellen zu erfüllen. Für komplexere Szenarien, insbesondere eine vollständige Workflow-Implementierung, ist ein umfassenderer und strukturierterer Ansatz erforderlich. Dies folgt wiederum in vielerlei Hinsicht den Bestimmungen von openEHR, insbesondere in Bezug auf die klinische Datenmodellierung, Vorlagen und Anwendungsfallanalyse sowie die Trennung
dieser Aktivitäten von den Bereitstellungsaufgaben, die von den Koordinationsteams übernommen werden, einschließlich Integration, Erstellung und Test von separaten Anwendungen, wo dies erforderlich ist.

Die umfassenden Vorteile der Einführung des openEHRAnsatzes werden weltweit zunehmend anerkannt. Diese Verschiebung zeigt sich jetzt in Märkten mit den fortschrittlichsten Gesundheitssystemen. Alle vier führenden nordischen Anbieter von EHR-Systemen – Norwegens DIPS und PatientSky, Schwedens Cambio und Finnlands TietoEvry – verwenden jetzt ein Datenrepository auf Basis von openEHR. Ganze Länder – Finnland, Malta, Schottland, Slowenien und Wales – stützen ihre Gesundheitsdateninfrastruktur jetzt auf openEHR. Erst kürzlich hat Katalonien beschlossen, dasselbe zu tun. Viele dieser Bereiche sind sehr
weit fortgeschritten, verfügen über jahrzehntelange Erfahrung in der Erhebung hochwertiger Pflegedaten und kennen daher die Grenzen der bisher verwendeten Ansätze.

Herr Gornik, vielen Dank für das Gespräch.


Quelle: Krankenhaus-IT Journal, Ausgabe 03/2021


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