Dies ist ein Zeitgewinn, mehr aber auch nicht

KHZG-Fristverlängerung – Expertinnenmeinung PRO-KLINIK

Veröffentlicht 17.07.2023 11:00, Kim Wehrs

Krankenhäuser können Projekte im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) auch nach Ende 2024 abschließen. Dazu legten die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der GKV-Spitzenverband eine „Digitalisierungsabschlags-Vereinbarung“ mit neuem Sanktionskatalog bei Verstößen gegen KHZG-Umsetzungsfristen vor. Zum 1. August 2023 soll die Vereinbarung wirksam werden. Welche Auswirkungen zu erwarten sind, erörtert Dr. Meike Hillen, Geschäftsführerin, PRO-KLINIK Krankenhausberatung GmbH.

Foto: Dr. Meike Hillen, Geschäftsführerin, PRO-KLINIK Krankenhausberatung GmbH: „Wer nun angesichts der Fristverlängerung den „Dampf aus dem Kessel nimmt“ wird sich noch einmal weiter hinten anstellen müssen, um Ressourcen der Lösungsanbieter abzusichern.“

 

Was bedeutet die Fristverlängerung im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) bis ins Jahr 2031 für die KIS-Strategie der Krankenhäuser? Wie weit ist der bisherige Umsetzungsengpass mit Blick auf Ressourcen durch den erweiterten KHZG-Zeitrahmen beseitigt? 

Meike Hillen: Die nun mit der Digitalisierungsabschlags-Vereinbarung vom 03.07.2023 formulierte Fristverlängerung ist ein richtiges und wichtiges Signal in das deutsche Gesundheitswesen.

In unserer Beraterpraxis erleben wir es täglich, dass sowohl auf Seiten der Industrie als auch auf Seiten der Einrichtungen des Gesundheitswesens quantitativ und qualitativ ausreichende personelle Ressourcen fehlen, um die mit dem KHZG formulierten, ambitionierten Digitalisierungsziele umzusetzen. Der Ressourcennotstand zeigt sich jedoch nicht erst in der Beschaffung bzw. der Implementierung von KHZG-Maßnahmen, sondern setzt bereits im initialen Punkt der KIS-Strategie an. Oftmals wurden – aufgrund der zeitlichen straffen Vorgaben – in die KHZG-Antragsstellung Maßnahmen eingebracht, welche nicht immer strategisch durchdacht, sondern oftmals getrieben von den Anforderungen klinischer Anwender und Anwenderinnen waren, die naturgemäß nur bedingt einen ganzheitlichen strategischen Ansatz verfolgen. Eine Vielzahl der Einrichtungen – so unsere Wahrnehmung – macht sich sicherlich erst jetzt auf den Weg in eine IT-strategische Absicherung der KHZG Maßnahmen, sowie deren unterschiedliche Verfahrensweisen der Beschaffung. Für diese Krankenhäuser ist die nun formulierte Fristverlängerung ein „Segen“, gilt doch für die Bewertung der Abschlagswertes in den Jahren 2025 und 2026 ein Verhältnis von 100 Prozent Verfügbarkeit zu 0 Prozent Nutzung; d.h., wer als Einrichtung zumindest die Antwortoption „beauftragt“ bei allen Anforderungen der Kategorie „Verfügbarkeit“ angeben kann (und dies durch entsprechende Belege nachweist), wird in den Jahren 2025 und 2026 nicht sanktioniert. Oftmals ist nun die Rede davon, dass Einrichtungen aufgrund der formulierten Digitalisierungs-Abschlagsvereinbarung und der verlängerten Frist einer „Beauftragung“ (im Sinne der Verfügbarkeit digitaler Dienste) zum Innovations- und Technologietreiber werden können. Dies muss jede einzelne Einrichtung für sich in einer individuellen IT-Strategie festlegen. Das deutsche Gesundheitswesen benötigt innovative Applikationen und Technologien. Um als Technologie- bzw. Innovationspartner im Zusammenspiel mit der Industrie agieren zu können, werden jedoch gerade die personellen Ressourcen in den Kliniken noch einmal mehr zum Zünglein an der Waage. Wer sich auf einen möglichen „Proof of Concept“ als Innovationspartner mit der Industrie als Grundlage für jegliche Innovation begibt, benötigt nicht nur die fachliche Expertise, sondern auch die ausreichende personelle Verfügbarkeit. Dies trifft erfahrungsgemäß eher auf Einrichtungen der Maximalversorgung und auf Universitätsklinika zu. Einrichtungen der Grund- und Regelversorgung sind an dieser Stelle sicherlich gut beraten, auf am Markt etablierte Standardlösungen zu setzen und dies in der einrichtungsindividuellen IT-Strategie zu formulieren.

Machen wir uns nichts vor – Einrichtungen, die Stand heute oder bereits früher, den KHZG-konformen Ausbau der Digitalisierung bei den unterschiedlichsten Lösungsanbietern beauftragt haben, bekamen oftmals den Spruch „first in – first serve“ zu hören. Die Ressourcen sind nicht nur ausgebucht, sondern mehrfach überbucht, so dass immer wieder Produktivsetzungstermine ab Mitte 2025 oder auch viel später genannt wurden. Dies ist ein Zeitgewinn, mehr aber auch nicht.

An dem grundsätzlichen Umsetzungs-Engpass der KHZG-Maßnahmen wird auch die nun formulierte Fristverlängerung mit Blick auf die Bewertung der Nutzung nichts ändern. Dies ist eine strukturelle und somit grundsätzliche Herausforderung im deutschen Gesundheitswesen. Als Berater im Gesundheitswesen empfehlen wir all unseren Kunden an der grundsätzlichen Zeitplanung der Beschaffung und Implementierung festzuhalten, denn wer nun angesichts der Fristverlängerung den „Dampf aus dem Kessel nimmt“ wird sich noch einmal weiter hinten anstellen müssen, um Ressourcen der Lösungsanbieter abzusichern. Und ab 2027 beginnt sich langsam, aber sicher der prozentuale Anteil von Verfügbarkeit und Nutzung zu drehen.
 

Welche Auswirkungen kann die Fristverlängerung auf Betriebskosten und Refinanzierung haben?

Meike Hillen: Die Auswirkungen der Fristverlängerung auf Betriebskosten und Refinanzierung können Stand heute nicht abschließend bewertet werden, sondern müssen landes- und einrichtungsspezifisch geprüft werden. Primär gelten die in den Zuwendungsbescheiden formulierten Durchführungszeiträume, welche jedoch landesspezifisch individuell ausgeprägt sind. Das Bundesland NRW führt aus, dass die Maßnahme spätestens drei Jahre nach Bestandskraft des Zuwendungsbescheides beendet sein muss. D.h., dass Einrichtungen, die z.B. im August 2022 den Zuwendungsbescheid erhalten haben (Bestandskraft des Zuwendungsbescheides), die Maßnahme im August 2025 beenden müssen. Grundsätzlich kann gemäß den Formulierungen des Zuwendungsbescheides eine Verlängerung des Durchführungszeitraumes gewährt werden, „sofern besondere Umstände dies rechtfertigen“. Der herrschende Ressourcenengpass kann an dieser Stelle sicherlich als „besonderer Umstand“ verargumentiert werden, gesicherte Erfahrungen hierzu liegen aufgrund der Aktualität der Themen nicht vor. Die derzeit vorliegende Klarstellung des MAGS für NRW (siehe FAQ zu den Bescheiden des Landes) spricht aktuell von einem abweichenden Durchführungszeitraum vs. Wartungszeitraum. Inwiefern sich an dieser Stelle erneut landesspezifische Anpassungen ergeben, ist aktuell nicht abzuschätzen.

Schauen wir auf die landesspezifischen Vorgaben in Rheinland-Pfalz: hier wird zum 30.09.2023 ein 30%iger Abruf der bewilligten Fördermittel vorgegeben. Hierbei handelt es sich um die Auszahlung der Kofinanzierung des Landes. Einrichtungen, die diesen Mittelabruf nicht tätigen, müssen das Risiko eines Verlustes der Kofinanzierung tragen und fallen somit auf den 70%igen Fördermittelanteil des Bundes zurück. Hier greifen gänzlich andere Voraussetzungen und Effekte mit Blick auf die Fristverlängerungen. Für die Einrichtungen in Rheinland-Pfalz bedeutet dies den Abschluss eines Vertrages mit den entsprechenden Dienstleistern bereits vor September 2023, um diesen geforderten Mittelabruf tätigen zu können. 

Wie praxistauglich beurteilen Anwender das neue Bewertungskonzept (mit der Abschlagshöhe)? Wie weit schlagen Kriterien wie „Verfügbarkeit“ und „Nutzung der digitalen Dienste“ auf Basis eines Soll-Ist-Abgleichs zu Buche? 

Meike Hillen: Die Praxistauglichkeit des nun vorliegenden neuen Bewertungskonzeptes wird sich erst noch beweisen müssen. Nach wie vor eröffnet das Bewertungskonzept inhaltliche Interpretationsspielräume (selbiges gilt auch für die Förderrichtlinie) und sicherlich besteht auch hinsichtlich der Priorisierung der Fördertatbestände Diskussionsbedarf. Tatsächliche Praxiserfahrungen können naturgemäß Stand heute noch nicht vorliegen. Die Digitalisierungsabschlags-Vereinbarung formuliert adäquate Öffnungsklauseln für weitere Anpassungen und Ausformulierungen, so dass eine Fortschreibung erwartbar ist.
 

Wie könnte sich aus Sicht der Anwender der KHZG-Prozess vor allem verbessern lassen? Welche Maßnahmen für einen spürbaren Mehrwert sind denkbar? 

Meike Hillen: Die Antworten zu dieser Thematik sind vielschichtig und komplex. Das KHZG ist nach wie vor begrüßenswert, um die Digitalisierung in den Einrichtungen des Gesundheitswesens voranzutreiben. Leider hat sich das KHZG aufgrund der unterschiedlichen Vorgaben der Länder, der verschiedensten Formulare und Termine mehr und mehr zu einem „Bürokratieungetüm“ entwickelt, welches zusätzlichen Aufwand für die Einrichtungen mit sich bringt. Zielführend sind aus unserer Wahrnehmung primär eine Entschlackung der Prozesse und Vorgaben. Dies kann qualitätsgesichert gestaltet werden, ohne dass die Zielsetzung vernachlässigt wird. Weiter gehören klare und frühzeitig formulierte Anforderungen dazu; gerade die letzten Monate waren von sehr viel Diskussionen und Unsicherheit geprägt, inwiefern es die dringend erwarteten Anpassungen der Sanktionierung geben wird. Nach wie vor der grundlegende Tenor: Absicherung einer ausreichenden personellen Ausstattung sowohl im Bereich der IT-Abteilungen, aber auch im Bereich der klinischen Anwender. Die Implementierung von komplexen Maßnahmen, wie sie das KHZG vorgibt, erfordert personelle Ressourcen auf allen Seiten – hier ist erhebliches Optimierungspotential bzw. erheblicher Nachholbedarf. 


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