Gezielte und dauerhafte Förderung der Digitalisierung anstreben

KHZG- Fristverlängerung – KH-IT-Expertenmeinung:

Veröffentlicht 18.07.2023 12:40, Kim Wehrs

Krankenhäuser können Projekte im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) auch nach Ende 2024 abschließen. Dazu legten die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der GKV-Spitzenverband eine „Digitalisierungsabschlags-Vereinbarung“ mit neuem Sanktionskatalog bei Verstößen gegen KHZG-Umsetzungsfristen vor. Zum 1. August 2023 soll die Vereinbarung, die bis ins Jahr 2031 reicht, wirksam werden. Zu erwartende Auswirkungen Betrachtet Jürgen Flemming, Bundesverband der Krankenhaus-IT-LeiterInnen e.V., Mitglied im Vorstand, Pressereferent. 

Foto: Jürgen Flemming, Bundesverband der Krankenhaus-IT-LeiterInnen e.V., Mitglied im Vorstand, Pressereferent: „Wer sich als Krankenhaus bis heute nicht auf den Weg in die Digitalisierung entlang des KHZG begeben hat, wird auch bis Ende 2026 nicht fertig werden.“
 

Was muss bei der „KHZG-Digitalisierung“ für einen nachhaltigen Vorteil hauptsächlich „reformiert“ werden?

Flemming: Mit dem KHZG wurde aus Sicht des BMG in 2020 eine dringend notwendige Entwicklung in Gang gesetzt, deren Ziel über die verstärkte Digitalisierung der Prozesse und Daten im Krankenhaus die Gesundheitsversorgung signifikant verbessert werden sollte. Für die Umsetzung war ein Zeitrahmen von September 2020 bis Dezember 2024 vorgesehen. Entgegen den Erwartungen des BMG gestaltete sich die Beantragung der Fördermittel und deren Bewilligung durch das BAS erheblich langwieriger als geplant. Zudem erfordert das Vergaberecht zeitaufwändige und oftmals europaweite Ausschreibungen. Dann stellte sich heraus, dass die für die Umsetzung der Projekte notwendigen Dienstleister und Hersteller nicht in dem Maße verfügbar waren, wie es für die Abarbeitung einer so großen Menge an Aufträgen notwendig gewesen wäre.

Bereits im Jahr 2022 wurde sehr deutlich, dass der Zeitrahmen zu eng gesteckt war. Die Ergebnisse der Verhandlungen zwischen DKG und GKV SV sind daher sehr zu begrüßen, denn immerhin gibt es nun in der Frage der Pönalisierung Klarheit.

In den Jahren 2025 und 2026 wird die Pönalisierung ausschließlich an der Verfügbarkeit der über die MUSS-Kriterien des KHZG geforderten Funktionen gemessen. Und dafür genügt in diesen beiden Jahren auch der Status „beauftragt“. Erst ab 2027 wird in jährlich steigenden Quoten auch die Nutzung der jeweiligen Funktionen in die Pönalisierung mit einbezogen.

Wer sich aber nun zurücklehnt und glaubt, dass die Risiken im Rahmen des KHZG nun zumindest erst später greifen könnten, hat sich – zumindest derzeit – getäuscht. Denn: Die Auszahlung der Fördergelder erfolgt in einigen Bundesländern nicht mit Bewilligung des Förderbescheids, sondern erst auf Abruf unter Nachweis der Mittelverwendung. Es werden also Fördergelder nur gegen Vorlage der entsprechenden Rechnungen ausbezahlt. Solange diese Länder an der Regelung nichts ändern, müssen die betroffenen Krankenhäuser ihre KHZG-Projekte dennoch bis Ende 2024 abschließen, oder aber die Kosten ab 2025 aus Eigenmitteln tragen.

Die Anpassung dieser Regelungen ist dringend erforderlich, denn auch diese Krankenhäuser sind oft unverschuldet in die Verzögerung geraten.
 

Was bedeutet die Fristverlängerung im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) bis ins Jahr 2031 für die KIS-Strategie der Krankenhäuser? Wie weit ist der bisherige Umsetzungsengpass mit Blick auf Ressourcen durch den erweiterten KHZG-Zeitrahmen beseitigt? 

Flemming: Sofern nicht nur die Pönaleregelung, sondern auch die Auszahlung der Fördermittel entsprechend verlängert wird, bekommen zunächst einmal die Krankenhäuser, sowie die Dienstleister und Hersteller mehr Zeit für die Umsetzung der Projekte. Das Ziel all dieser Projekte ist die Erfüllung der MUSS-Kriterien des KHZG, denn nach diesen Kriterien bemisst sich die Pönalisierung. Faktisch kann man von zwei zusätzlichen Jahren ausgehen. Ob dieser Zeitraum ausreicht, wird in manchen Fällen noch von zähen Verhandlungen zwischen den Häusern und ihren Dienstleistern abhängen. Wer sich als Krankenhaus bis heute nicht auf den Weg in die Digitalisierung entlang des KHZG begeben hat, wird auch bis Ende 2026 nicht fertig werden. 

Kritisch kann die Verlängerung durch mehrere Faktoren werden: Zunächst führt die über das jüngste Eckpunktepapier auf den Weg gebrachte Krankenhausreform zu einer gewissen Unsicherheit über das Schicksal des jeweiligen Krankenhauses: In welcher Leistungsgruppe wird das Haus eingestuft, was bedeutet das für die MUSS-Kriterien ? 

Dann prasseln zahlreiche weitere Anforderungen auf die Krankenhäuser und ihre IT-Organisationen ein: Da ist die dringend notwendige Standardisierung der Datenstrukturen, erforderlich für den Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS), das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (DGNG), das Digitalisierungsgesetz (DiG). Mit ISIK wird ein wichtiger Schritt unternommen, aber bis die Ergebnisse sich in den KIS niederschlagen, ist das KHZG mit Sicherheit vorbei. 

Weiterhin steigen aus offensichtlichen Gründen die Anforderungen an die IT-Sicherheit der Systeme im Krankenhaus laufend an. Die Vorschriften um KRITIS werden ständig verschärft, um Cyberattacken besser begegnen zu können. Gleichzeitig wird auf EU-Ebene an der NIS-Richtlinie gearbeitet, die neben KRITIS und dem IT-SiG weitere erhebliche Anforderungen an die Informationssicherheit bringen wird. 

Da eine erfolgreiche Cyberattacke bei gelungener Digitalisierung für die Patienten immer lebensbedrohlicher wird, ist diese Entwicklung zwingend erforderlich. Aber gerade mit dem Blick in die Zukunft wird deutlich, dass die Finanzierung dieser Anforderungen nicht mehr wie bisher aus den DRG-Erlösen der Krankenhäuser erfolgen kann. Im Rahmen der Krankenhausreform muss dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Informationssicherheit Geld kostet, das den Krankenhäusern auf Dauer zur Verfügung gestellt werden muss.
 

Wie weit könnte sich die bestehende Auftragsflut der Krankenhäuser durch die Fristverlängerung von Industrie und Beratung sowie SAP-Partnern wirksam bewältigen lassen? 

Flemming: Ob die zwei Jahre mehr Zeit ausreichen, um die noch laufenden oder gar noch ausstehenden Projekte abzuschließen, kann derzeit niemand mit Sicherheit sagen. Sicher ist allerdings, dass ein zusätzlicher Zeitraum von zwei Jahren sicher in vielen Fällen das Zeitproblem lösen wird.

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass lediglich mehr Zeit zur Verfügung steht, bis die Pönalen für nicht erfüllte MUSS-Kriterien greifen. Ob die Fördermittel tatsächlich über die zwei zusätzlichen Jahre noch ausgegeben werden können, wird  noch zu klären sein.
 

Welche Auswirkungen kann die Fristverlängerung auf Betriebskosten und Refinanzierung haben? 

Flemming: Die Fristverlängerung wird keine Auswirkungen auf die Betriebskosten und die nach Ablauf der Förderung anstehende Refinanzierung dieser Kosten haben. Nach wie vor gilt das unveränderte KHZG, das die Finanzierung der Betriebskosten über 36 Monate zulässt. Es ist auch davon auszugehen, dass der Zeitraum, ab dem die Betriebskosten gefördert werden, noch vor dem 31.12.2024 beginnen muss.
 

Wie praxistauglich beurteilen Anwender das neue Bewertungskonzept (mit der Abschlagshöhe)? Wie weit schlagen Kriterien wie „Verfügbarkeit“ und „Nutzung der digitalen Dienste“ auf Basis eines Soll-Ist-Abgleichs zu Buche?

Flemming: Das Bewertungskonzept ist noch recht neu, die Praxistauglichkeit wird sich noch im Rahmen anstehender Diskussionen erweisen müssen. Auf der abstrakten Ebene der Vereinbarung erscheinen die Regeln recht klar. Wie allerdings ab 2027 die Nutzung der Dienste gemessen werden soll, ist noch unklar. Nach aktuellem Stand sollen die Krankenhäuser eine Selbsteinschätzung liefern.
 

Wie könnte sich aus Sicht der Anwender der KHZG-Prozess vor allem verbessern lassen? Welche Maßnahmen für einen spürbaren Mehrwert sind denkbar?

Flemming: Der KHZG-Prozess besteht aus zwei unabhängigen Vorgängen: einerseits dem Prozess der Förderung von Projekten im Rahmen des KHZG, andererseits in der Messung der erfolgreichen Digitalisierung und der Pönalisierung bei Verfehlung. 

Der Förderprozess ist weitgehend abgeschlossen, fast alle Mittel sind inzwischen bewilligt worden. Zu verbessern wäre mit Sicherheit noch der Umsetzungszeitraum: Hier müsste dringend Rechtssicherheit geschaffen werden, in dem Bund und Länder gemeinsam beschließen, den Förderzeitraum bis Ende 2026 zu verlängern. Oder zumindest den Abruf der Fördermittel bis Ende 2026 zulassen. 

Der Prozess der Pönalisierung ist ein auf Dauer angelegtes Verfahren mit dem Ziel, die Krankenhäuser zur Digitalisierung zu zwingen. Der Zwang zur Digitalisierung ist nicht grundsätzlich schlecht, aber die Folgen der Digitalisierung werden nicht berücksichtigt. Je mehr Prozesse und Daten im Krankenhaus digitalisiert werden, desto stärker wird die Abhängigkeit von der Verfügbarkeit der Systeme und der Vollständigkeit und Korrektheit der Daten. Das sind die klassischen Themen der IT-Sicherheit und eigentlich keine Überraschung. Während im KHZG noch die IT-Sicherheit besonderes Augenmerk bekommen hat, bleiben die steigenden Kosten der Sicherheit und die höheren Betriebskosten der Digitalisierung unberücksichtigt.

Anstatt die Nicht-Nutzung digitaler Prozesse und Daten zu pönalisieren, wäre die gezielte und dauerhafte Förderung der Digitalisierung anzustreben.


Das Interview führte Wolf-Dietrich Lorenz 

 


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